Han KangsDie Vegetarierin ist kein gewöhnlicher Roman, sondern eine verstörende, tiefgründige Studie über das menschliche Wesen, erzählt indrei symbolisch aufgeladenen Kapiteln- oder besser gesagt: drei Spiegeln, die auf eine Frau gerichtet sind, ohne dass sie selbst je ganz sichtbar wird.In"Die Vegetarierin" schildert ihr emotionsloser Ehemann die schockierende Entscheidung Yeong-Hyes, plötzlich kein Fleisch mehr zu essen - eine scheinbar harmlose Geste, die sich zu einem Abgrund aus psychischer Entfremdung und gesellschaftlichem Widerstand auftut.Im zweiten Teil, "Mongolischer Fleck", nimmt ihr Schwager die Perspektive ein. Fasziniert von Yeong-Hyes zunehmend weltabgewandter Körperlichkeit, verschwimmen hier Realität, Begierde und Projektion zu einem surrealen Zusammenspiel.Den Abschluss bildet"Flammende Bäume", erzählt von Yeong-Hyes Schwester, die Zeugin wird, wie sich Yeong-Hye vollkommen von der Welt entkoppelt - körperlich, sprachlich, seelisch.Was wie eine einfache Verweigerung beginnt, wird zur Metapher für Unterdrückung, patriarchale Kontrolle, psychische Krankheit und den verzweifelten Versuch, dem Menschsein zu entkommen.Yeong-Hye bleibt auf tragische Weise schwer greifbar - und genau das ist vermutlich die literarische Absicht. Sie wird durch die Blicke anderer geformt, projiziert, missverstanden. Der Leser sieht sie nie direkt, sondern nur durch Spiegelungen, deren Oberfläche mit jedem Kapitel brüchiger wird. Die Figuren sind weder Helden noch Antihelden - sie sind menschlich, erschütternd ehrlich und oft schwer zu ertragen.Han Kangs Schreibstil ist einzigartig: lyrisch, kühl, präzise - und doch durchdrungen von poetischer Wucht.Ihre Prosa ist wie ein zerbrechlicher Glaskörper, durch den das Licht fällt und dabei jedes Staubkorn - jede Wunde - sichtbar macht. Der Wechsel zwischen Realismus und Surrealismus, zwischen Träumen, Halluzinationen und scheinbarer Sachlichkeit, erzeugt eine Spannung, die leise unter die Haut kriecht. Die Bilder - etwa vom Körper als Pflanze, vom Fleisch als Schuld, vom Schweigen als Widerstand - sind eindringlich, verstörend und oft schwer zu entwirren. Man liest nicht "einfach", man arbeitet sich hindurch - durch Stille, Schmerz und andere symbolische Schichten.Die Vegetarierin ist kein Buch, das man genießt - es ist ein Buch, das verunsichert, herausfordert und nachhallt.Mich persönlich hat die Handlung oft überfordert - sie wirkte stellenweise abstrakt, entrückt, schwer greifbar. Ich las weiter, nicht aus Freude oder Spannung, sondern aus einer Art innerem Zwang, verstehen zu wollen, worauf das alles hinausläuft. Im Vergleich zu anderen Werken von Han Kang, etwa "Menschenwerk" oder "Deine kalten Hände", hat dieses Buch mich weniger erreicht - dort fand ich mehr emotionale Tiefe, klarere Linien. Doch "Die Vegetarierin" ist zweifellos ein literarisch kraftvolles Experiment über die Frage, was passiert, wenn jemand still, aber radikal "nein" sagt - zum Fleisch, zur Rolle, zur Welt. Das Buch ist kein Muss - und doch ein Buch, das bleibt, wenn man es einmal gelesen hat.