Besprechung vom 17.04.2025
Ein Fest der Mündlichkeit
Herbert Grönemeyer hat den Regen gebogen
Mit Kennbuchstaben von A bis Z ist die Reihe der "Münchner Reden zur Poesie" durchnummeriert, die im vor zwanzig Jahren begründeten "Lyrik Kabinett" inzwischen gehalten worden sind. Die schönen Hefte in der Typographie von Friedrich Pfäfflin tragen alle das Alphabet auf dem farbgeprägten Deckblatt, und diese enzyklopädische Geste trägt dem Rechnung, dass darin so unterschiedliche Stimmen wie die von Marcel Beyer, Anja Utler, Ilma Rakusa, Dirk von Petersdorff, Daniela Strigl und Maria Stepanova zu Wort gekommen sind.
Das letzte Wort (sofern nicht danach eine neue Reihe mit ganz anderer Zählung beginnt?) hat nun unter dem Buchstaben Z eine Stimme, die etwas herausfällt: nämlich die von Herbert Grönemeyer. Im Gegensatz zu manchen gedrechselt oder poetisch sprechenden Vorgängern redet Grönemeyer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: Wir lesen des Lieddichters protokollierte Antworten aus einem Gespräch mit Michael Lentz, die Form ist also dezidiert eine der festgehaltenen Mündlichkeit: "Das Lied ist entstanden, nachdem die Platte fertig war, es entstand in einer Zeit, als das Leben relativ eng wurde aufgrund meiner eigenen Geschichte und meiner Situation mit meiner damaligen Frau - es fehlte aber ein Lied auf der Platte. Die Platte war fertig und ich merkte: Irgendwas fehlt" - also wer sich jetzt zu Recht fragt, ob die Platte denn nun fertig war oder nicht, wird endlich aufgeklärt, dass letztlich sogar ihr Titelstück noch fehlte: "Dann bin ich hochgegangen ins Studio und habe dieses 'Bleibt alles anders' geschrieben und dann auch den Text."
Wie er textet, nämlich oft aus dem Stegreif, ob gereimt oder ungereimt und unter mutwilliger Verdrehung von Redewendungen - darüber spricht Grönemeyer sehr amüsant. Falls einige der Anekdoten indes manchen bekannt vorkommen, liegt das an einem publizistischen Umstand: Das Gespräch mit Lentz wurde schon 2022 geführt, und inzwischen ist dessen ausführliches analytisches und selbst poetisches Buch "Grönemeyer" bei S. Fischer erschienen, das die genannten Aspekte der lyrischen Arbeitsweise und viele andere stark vertieft (F.A.Z. vom 7. Dezember). Das macht das vorliegende launige, lustige und bibliophile Zeugnis des Sängers selbst aber nicht überflüssig. Es sind darin auch einige seiner Liedtexte abgedruckt, die zeigen, wie man Regen biegt und Gefühle dreht: "Weil immer was geht." JAN WIELE
Herbert Grönemeyer: "Im freien Flug". (Reihe: Münchner Reden zur Poesie).
Hrsg. von Frieder von Ammon und Holger Pils. Stiftung Lyrik Kabinett, München 2025. 33 S., br.
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