"Die geheime Staatspolizei hat im Juli 1933 die gesamten Bestände meiner beiden Bücher 'Gilgi, eine von uns' und 'Das kunstseidene Mädchen' in den Räumen der Universitas Deutsche-Verlags Akt.-Ges., Berlin W. 50, Passauer Straße 3 beschlagnahmt und an sich genommen. Ein Gerichtsurteil, das diese Beschlagnahme rechtfertigt, ist bis jetzt nicht erfolgt und auch nicht angestrebt worden." - Irmgard Keun will Schadensersatz von der Gestapo! Ein draufgängerischer Schritt im Jahr 1935! Natürlich schadet ihr das noch mehr. 1936 geht sie ins Exil.
"Gilgi - Eine von uns" (1931) war ihr Durchbruch. Innerhalb kürzester Zeit gab es mehrere Auflagen. Der Legende nach sagt ihr der Verleger, nachdem er das Buch gelesen hat: "Der Klofrau haben wir das Manuskript auch zum Lesen gegeben. Und die war entscheidend."
Der Roman wird als Fortsetzungsroman gedruckt, im Jahr nach seinem Erscheinen sogar verfilmt. Offenbar hatte Keun einen Nerv getroffen mit ihrer Geschichte über die kleine Angestellte Gilgi, die sich aus den Fesseln der Rollenbilder befreien will. Gilgi ist eine von Vielen, die "geistig obdachlos" sind, wie der Soziologe Siegfried Kracauer die Situation der Angestellten bezeichnet. Bürgerliche Sicherheiten zählen nicht mehr, die finanzielle Situation am Ende der Weimarer Republik ist prekär.
Aber Gilgi will was aus sich machen. Sie trainiert ihren Körper, hat tippen gelernt, arbeitet als Sekretärin und besucht Sprachkurse. Mit gespartem Geld mietet sie sich ein Zimmer zum Schreiben. An ihrem 21. Geburtstag erfährt sie, dass sie nicht die Tochter der bürgerlichen Familie ist, in der sie aufgewachsen ist. Sie trennt sich von den Eltern, lernt einen Mann kennen, dem sie sich mit Haut und Haar verschreibt, wird arbeitslos. Der Liebhaber bringt sie mit seinem Bohème-Leben völlig von ihrem Weg ab. Er will sie als putziges Anhängsel, sein Gilgichen. Aber die Abhängigkeit gefällt ihr nicht. Sie beginnt zu zweifeln. Am Ende - nach einer überraschenden und katastrophalen Wendung - verlässt sie (schwanger) den Mann und ihre Heimatstadt Köln und geht selbständig - ins Ungewisse nach Berlin. (In der Filmversion kommt ihr der Mann nachgelaufen und macht ihr einen Heiratsantrag. Ein Ende, das Keun ablehnte und kitschig fand.)
Keun kannte die Situation der kleinen weiblichen Angestellten aus eigenem Erleben. Sie schildert den Alltag und die Gedanken der Protagonistin äußerst eindrucksvoll. Die Bildlichkeit ihrer Sprache ist an ganz vielen Stellen ungewöhnlich und sehr erfrischend.
Ein lesenswerter Klassiker des 20. Jahrhunderts. Regine Ahrem hat mich mit ihrem Buch "Leuchtende Jahre" über den Aufbruch der Frauen 1926-1933 (bei ebersbachundsimon) zur Lektüre angeregt. Danke!