Auch das neuste Buch Verdammnis von Iskan Tolun, den ich als einen modernen Volkserzä hler bezeichnen wü rde, habe ich voller Freude in einem Rutsch durchgelesen und dabei die Atmosphä re der 50er Jahre gespü rt; einer Zeit des Ü bergangs vom traditionellen System der Grossgrundbesitzer in die Moderne. Schauplatz ist Antep mit seinem lä ndlichen Umland. Was mir besonders gefiel, ist, wie er die Ehrfurcht vor der Natur beschreibt und mythologische Elemente verwendet. Unterschwellig sind die Auswirkungen der Vö lkermorde von 1915 und Dersim 193738, sowie das Pogrom vom 6. -7. September 1955 in Istanbul zu spü ren. So ist der Sohn des Grundbesitzers, Mehmet Ali, ein Abbild der studentischen Jugend der 40er Jahre, die sich mehr und mehr dem Sozialismus zuwandte. Nicht wenige Sö hne reicher Grundherren orientierten sich seinerzeit nach links. Iskan Tolun glorifiziert die Liebe durch seine Figuren, den Hirten Ismail und Aysecik, ebenso wie den Widerstand und letztendlichen Sieg des Guten ü ber das Bö se. Aysecik ist ein ganz klein wenig ein Abbild der Aysecik, die in den Freilichtkinos im Sommer ganz Anatolien tosen liess. Im Hintergrund wiederum spü rt man die weibliche Weisheit der ehrbaren Tante Anus. Und selbst Yasar Kemal lä sst euch durch den jungen Schriftsteller und Journalisten, der uns im Zug begegnet, grü ssen. Immerhin kö nnte man sagen, dass auch Iskan Tolun derselben Schule entsprungen ist. Und die bö se Figur des Romans, der gnadenlose, der durchgedrehte Yavuz ist im Grunde genommen nur das Opfer eines Systems von Militarismus; eines Wehrdienstes, zu dem die jungen Menschen zum Wohle des Vaterlands verpflichtet werden. Die 12-jä hrige Esma wiederum fä llt ihm zum Opfer. Dagegen verkö rpert die junge Frau Aysecik den Widerstand. Ein Buch, das genau in dieser Zeit lesenswert ist, da man ü ber den Istanbuler Vertrag diskutiert, welcher Gewalt gegenü ber Frauen verhindern soll; und wo gleichzeitig darü ber gestritten wird, ob die Verheiratung von 12-jä hrigen Mä dchen religiö s rechtmä ssig sei. Darü ber hinaus mö chte ich darauf hinweisen, dass diese Erzä hlung von Iskan Tolun dafü r geeignet ist, verfilmt zu werden. . . Ragip Zarakolu