Ich habe "Die Brüder" von Jan Guillou mit Neugier gelesen, weil der Vorgänger in der Reihe mich begeistert hatte. Der Einstieg gelingt gut: Sverre, der jüngste der Lauritzen-Brüder, verlässt Norwegen, reist nach England und taucht in die Bohème ein. Die Zeit um 1900 und die Szene in London sind atmosphärisch dicht beschrieben, manche Begegnungen wirken lebendig und überzeugend.Was mir gefallen hat: Guillou wirft den Blick auf gesellschaftliche Veränderungen, Kunst und die Suche nach einem freien Leben in einer rigiden Zeit. Diese Gedanken haben mich beschäftigt und geben dem Roman Tiefe. Die Sprache ist solide, gut lesbar und die Charaktere sind differenziert genug, um Interesse zu wecken.Allerdings stört einiges den Lesefluss: Zwischendurch verliert die Handlung an Spannung. Viele Beschreibungen über Umfeld, Künstlerleben und gesellschaftliche Diskussionen ziehen sich, ohne dass man das Gefühl bekommt, wirklich voranzukommen. Der Titel "Die Brüder" ist irreführend, weil der Fokus fast ausschließlich auf Sverre liegt, da ich mir mehr über seine älteren Brüder erhofft hatte.Am Ende liefert Guillou eine stimmige Geschichte, aber sie wirkt im Vergleich zu "Die Brückenbauer" weniger impulsiv. Wer Zeit mitbringt und Lust auf ein historisches Panorama hat, wird hier gut unterhalten.