Eine komplexe Liebesgeschichte vor dem Mauerfall ¿ literarisch stark, doch für mich ohne erzählerischen Sog und teils schwer greifbar.
Kairos von Jenny Erpenbeck ist zweifellos ein literarisch anspruchsvolles Werk, das die Atmosphäre der späten DDR auf beeindruckende Weise einfängt. Und dennoch: Das Buch hat mich persönlich nicht wirklich erreicht. Die Lektüre zog sich hin, und auch rückblickend bleibt bei mir eher Verwunderung über die Booker-Nominierung als Begeisterung.Erzählt wird die Geschichte einer langjährigen, eigenwilligen und zutiefst toxischen Liebesbeziehung - eine Konstellation, die durchaus Potenzial birgt. Zeit und Raum sind hervorragend recherchiert und umgesetzt, und es ist spürbar, dass Erpenbeck ein meisterhaftes Gespür für historische Stimmungen hat. Die Beziehung der Figuren entwickelt sich im Einklang mit dem Wandel des Landes, was eine faszinierende Parallele bietet.Trotzdem hatte ich Schwierigkeiten mit der sprachlichen und narrativen Umsetzung. Vielleicht lag es daran, dass ich das Buch nicht im Original gelesen habe - was ich jedem, der es kann, unbedingt empfehlen würde. Die Übersetzung wirkte auf mich stellenweise distanziert, was sich womöglich auf meinen Lesefluss ausgewirkt hat.Kairos ist kein schlechtes Buch - im Gegenteil: Es hat Tiefe, künstlerische Qualität und hinterlässt Eindruck. Und dennoch fühlte ich mich emotional nicht wirklich mitgerissen. Wer sich für Beziehungsdynamiken im historischen Kontext interessiert und eine ruhige, fordernde Erzählweise nicht scheut, findet hier eine lohnende, wenn auch nicht leichte Lektüre.