»Ich verstand ihre Gedanken vielleicht nicht, wohl aber, dass sie wie mein Vater nach dem Naturgesetz lebte, dass die Familie an erster Stelle kommt. Vor Recht und Gesetz. Vor dem Rest der versammelten Menschheit. Dass es immer heißt: Wir gegen den Rest.« (Seite 187)
Nach jahrelanger Abwesenheit kehrt Carl Opgard nach Os zurück, zurück auf den Hof der Familie, von der nach einem Unfall vor achtzehn Jahren nur noch sein älterer Bruder Roy übrig ist. Er bringt seine Frau mit sowie hochtrabende Pläne, wie er dem Dorf, das er einst verlassen hat, zu Reichtum verhilft. Der Dorfpolizist Kurt Olsen indessen ist damit beschäftigt, Beweise dafür zu finden, dass die Brüder für das Verschwinden seines Vaters verantwortlich sind. Dies wird nicht das einzige Problem sein auf dem Weg, den die Geschwister noch vor sich haben.
Dieses Buch war wie eine Naturgewalt, langsam und unaufhaltsam bewegte sich die Geschichte auf etwas zu, das ich anfangs nicht richtig fassen, was ich mir gar nicht vorstellen konnte, das aber in weiter Ferne bereits am Horizont zu sehen gewesen ist. Die Beziehung der beiden Brüder spielte dabei eine ebenso große Rolle wie Ereignisse, die Jahrzehnte zurücklagen und dennoch permanent zu spüren waren, so wie man die feuchte Luft förmlich fühlt, wenn man weiß, dass Regen aufzieht. Dadurch gab es eine unterschwellige, an den Nerven zehrende Spannung, die in Wellen kam, manchmal überschwappte und sich zurückzog, um unerwartet mit doppelter Kraft und Geschwindigkeit zurückzukehren und alles zu zerstören, was sich ihr in den Weg stellt.
Wieder einmal hat Jo Nesbø sein Können unter Beweis gestellt und klargemacht, was für ein unnachahmlicher Geschichtenerzähler er ist. Fast 600 Seiten lang entführte er mich in eine andere Welt, ließ mich fühlen, bangen, hoffen, Mitleid sowie Hass empfinden, und trug dazu bei, dass ich letztendlich doch noch die Fassung verlor. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich Worte, Sätze, ganze Abschnitte wiederholte, weil es mich packte und ich noch einmal fühlen wollte, was beim ersten Lesen so bewegend gewesen ist. Das ist Erzählkunst, das ist einfach meisterlich! Wie gut, dass der Autor sein Wort nicht gehalten hat, als er in einem Interview zum vorliegenden Buch von einem Standalone sprach. Die Fortsetzung mit dem Titel »der könig« steht bereits in meinem Regal und ich bin gespannt, wie es weitergeht.