1938/39 wurden etwa 10. 000 Kinder nach Großbritannien gebracht, um sie vor dem antisemitischen Terror zu retten. Wie erlebten sie diesen »Transport«, die Ausgrenzungserfahrungen zuvor, die wechselnden Pflegefamilien danach? Wie erinnern sie sich als häufig einzige Überlebende ihrer Familien daran? Maria Jäger zeigt, wie die Kinder von damals im Erzählen ihrer Lebensgeschichten aushandeln, Gerettete und möglicherweise Traumatisierte zugleich zu sein. Mit ihrer kulturpsychologischen Studie öffnet die Autorin den eindimensionalen Blick auf Traumata als innerpsychische Verletzungen und verortet sie an der Schnittstelle zwischen subjektivem Erleben und gesellschaftlichem Kontext.
1938/39: Zwischen den Novemberpogromen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden etwa 10. 000 Kinder nach Großbritannien gebracht, um sie vor dem antisemitischen Terror zu retten. Wie erlebten sie diesen »Transport«, die Ausgrenzungserfahrungen zuvor, die wechselnden Pflegefamilien danach? Wie erinnern sie sich als häufig einzige Überlebende ihrer Familien daran? Maria Jäger zeigt, wie die Kinder von damals im Erzählen ihrer Lebensgeschichten aushandeln, Gerettete und möglicherweise Traumatisierte zugleich zu sein. Dabei brechen vielschichtige Erlebnisse im Detail wieder hervor. Mit ihrer kulturpsychologischen Studie öffnet die Autorin den eindimensionalen Blick auf Traumata als innerpsychische Verletzungen und verortet sie vielmehr an der Schnittstelle zwischen subjektivem Erleben und gesellschaftlichem Kontext. Es wird deutlich: Sequenzielle und von Menschen verursachte soziale Traumatisierungen bringen komplexe Anforderungen in Bezug auf ihre narrative Be- und Verarbeitung mit sich. Mithilfe autobiografischer Erzählungen können Wege gesucht und gefunden werden, diesen Herausforderungen zu begegnen, um Sinn herzustellen, Anerkennung für das erlebte Leid zu generieren und ein Gefühl von Subjektivität und Zugehörigkeit zurückzuerlangen.
Inhaltsverzeichnis
Ein Leben lang Kind: Psychosoziale Langzeitfolgen gewaltvoller Geschichte/n
Geleitwort
Ju rgen Straub
1 Einfu hrung
Teil I: Historischer Kontext und Forschungsperspektiven
2 Die Kindertransporte nach Großbritannien
2. 1 Alltag in Nazi-Deutschland
2. 2 Britische Flu chtlingspolitik
2. 3 Historische Einordnung
3 Forschung und Öffentlichkeit
3. 1 Holocaustforschung und Child Survivors
3. 2 Die Kindertransporte: Rettung vs. Traumatisierung
3. 3 Desiderata
Teil II: Theoretischer Hintergrund
4 Formaltheoretische Grundbegriffe
5 Trauma als komplexes, langanhaltendes Geschehen
5. 1 Traumatheorien und ihre Entwicklung
5. 2 Keilsons Studie sowie ihre Erweiterung und Wu rdigung
5. 3 Ergänzende Perspektive auf kollektiv zugefu gtes Leid: Das Soziale Trauma
6 Erinnerung, Erzählung, Identität
6. 1 Personale Identität
6. 2 Gedächtnis, Erinnern, Geschichtsbewusstsein
6. 3 Narrative Identität und historische Sinnbildung
7 Intergenerationalität
8 Zusammenfu hrung: Die Kindertransporte als polyvalentes Erlebnis
Teil III: Methodologische Grundannahmen und methodisches Vorgehen
9 Methodologische Grundannahmen
9. 1 Verstehen
9. 2 Interpretieren
9. 3 Gu tekriterien
10 Datenmaterial
10. 1 Erhebung
10. 2 Aufbereitung und Auswertung
Teil IV: Empirie
11 Einzelfall- und komparative Analysen
11. 1 Einzelfallrekonstruktionen
11. 1. 1 Elsa »Well, to me the Kindertransports, looking back on it, it was an absolutely marvelous thing! «
11. 1. 2 Julia »It was, it was awful. Most miserable time«
11. 1. 3 Beth »And I think, while it s sad to separate kids from families, I think it s better to keep them alive«
11. 2 Fallu bergreifende Analyse
11. 2. 1 Fallvignetten
11. 2. 2 Rekonstruktion der Erzählungen im Lichte der sequenziellen Traumatisierung
11. 2. 3 Ausgewählte Aspekte latenter Sinngehalte der Narrationen
11. 3 Zusammenfu hrung: Typologie der Erzählstrukturen zwischen Kontinuität, Kontingenz und Ambivalenz
12 Abschließender Blick in intergenerationale, traumatisierte und traumatisierende Beziehungskonstellationen
12. 1 Rita, Kind eines Kindes
12. 2 Unsagbares Leid der eigenen Mutter und Survivor s Guilt
12. 3 Stimmungen und Atmosphären im traumatisierten familiären Kontext
12. 4 Das Schweigen brechen
12. 5 Objekte, Artefakte und ihre bedeutungsvollen Symboliken
12. 6 Zusammenfu hrung: Narratives Umdeuten und Neu-Verhandeln
Teil V: Schlussbetrachtungen, Diskussion und weiterfu hrende Perspektiven
13 Die Kindertransporte als komplexes, polyvalentes Erlebnis
13. 1 Zwischen öffentlichem Diskurs, erlebtem Leid und oktroyierter Dankbarkeit
13. 2 Der Tod als ständiges, latentes Thema
14 Sequenzielle Traumatisierungen aus kulturpsychologischer Perspektive
14. 1 Zum Potenzial einer kulturpsychologischen Erforschung (sequenziell) traumatisierender Erlebnisse
14. 2 Trauma, Kultur und Bedeutung
15 Das Erzählen persönlicher, potenziell traumatischer Erlebnisse
15. 1 Zum Potenzial einer heilsamen Wirkung des Erzählens
15. 2 Zum Potenzial einer heilsamen Wirkung des Zuhörens
15. 3 Über die, die nicht sprechen
16 Das Erforschen persönlicher, potenziell traumatischer Erlebnisse: Methodische Reflexionen
16. 1 Grenzen des narrativen Interviews
16. 2 Forschungsethische Überlegungen
16. 3 Reflexionen zur eigenen Standortgebundenheit
17 Fazit und Ausblick
Literatur
Anhang: Interviewleitfäden
Danksagung