GELESEN: Hjorth & Rosenfeldt Die Toten, die niemand vermisst (3. Fall)
Ein Fall für Sebastian Bergman
Kriminalroman
620 Seiten
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
Erschienen bei Rowohlt Polaris 2013
Die Art und Weise, wie dieser dritte Teil aufgebaut ist, der auch den Untertitel Lügen haben kurze Beine tragen könnte, macht auch diesen Band besonders spannend. Trotz vieler Figuren bleibt die Handlung überschaubar. Das Team um Torkel Höglund bekommt wieder zu tun, und Billy, Vanja, Ursula und auch Sebastian suchen die Puzzleteile zusammen. Dieses Mal ist die junge Jennifer Holgren dabei, welche recht ambitioniert ist und mit ihrer frischen Art gute Ansätze zeigt. Torkel hat sie als Ersatz für Vanja Lithner ausgesucht, die für drei Jahre nach den USA zu einer FBI-Ausbildung möchte.
Zur Geschichte:
Ganz zu Anfang mordet eine Frau, die zum Tatort reist. Ihre Papiere sind für dieses Vorhaben auf den Namen Patricia Wellton ausgestellt. Sie geht sehr kaltblütig vor, bedient sich einer Waffe mit aufgesetztem Schalldämpfer. Sie hat ihr Ziel erreicht, erschießt den Mann und könnte sich nun direkt wieder entfernen, wäre da nicht ein kleiner Bub, der gerade Papa ruft.
Sebastian Bergman hat krankheitsbedingt nach längerer Abstinenz die Nacht mit einer Dame verbracht. Gunilla ist Krankenschwester. Er hat sie kennengelernt, als er für einige Wochen nach dem letzten Einsatz, bei dem er von Edward Hinde attackiert wurde im Krankenhaus lag. In Sebastians Wohnung lebt noch immer Ellinor Bergquist, die, seit er sie vor dem Serienmörder gewarnt hatte, nicht mehr auszog. Ellinor ist allerdings inzwischen sehr aktiv, zog falsche Schlüsse aus Unterlagen, die in Sebastians Wohnung standen, die sie hätte vernichten sollen, aber natürlich las. Nun glaubt sie, dass Vanjas Vater Valdemar Lithner ein Gauner sei, der ihrem über alles geliebten Sebastian Böses will. Mehrmals hat sie Lithner schon unter fadenscheinigen Gründen aufgesucht. Mit ihren Aktivitäten möchte sie Sebastian zurückgewinnen.
Shibeka Khan, Mutter von Mehran und Eyer, stammt aus Afghanistan und beherrscht die schwedische Sprache nur mäßig. Nach Jahren des Wartens fasst sie Mut und ruft bei der Zeitung an. Sie möchte endlich, dass sich jemand kümmert, ihren seit vielen Jahren verschollenen Mann Hamid zu finden. Der Reporter Lennart Stridh von der Redaktion Nachgeforscht setzt sich mit ihr in
Verbindung. Es kommt zu einem Treffen. Lennart Stridh zeigt großes Interesse.
Maria und Karin unternehmen eine dreitätige Bergtour. Kurz vor ihrer zweiten Tagesetappe bemerkt Karin ihren Fehler. Sie sollten an diesem Tag ein anderes Quartier ansteuern. Maria kann nicht fassen, was sie gerade hört. Es regnet in Strömen, sie sind seit Stunden unterwegs und sollen jetzt noch weitere 19 km laufen. Als Karin ihre Feldflasche neu befüllen möchte, rutscht sie aus und schlittert über einen Abhang. Sie bekommt kurzzeitig etwas zu greifen, und als sie zum Liegen kommt, hält sie einen menschlichen Knochen in der Hand. Beim näheren Betrachten finden sie einen Schädel und eine Hand.
Ursula, die seit Jahren ein Verhältnis mit Torkel hat, wurde von ihrem Mann Mikael verlassen. Mikael hat sich neu verliebt. Von Torkel wusste er nie etwas. Jetzt erst merkt Ursula, wie einsam sie ist. Sven Dahlén arbeitet für die neu gegründete Cold Case-Gruppe der Reichskriminalpolizei und möchte Ursula in seinem Team haben. Ein vor acht Jahren in Haninge geschehener Mord muss untersucht werden. Er benötigt Ursulas Hilfe.
Alexander Sönderling, Ehemann und Familienvater, liest die Meldung Massengrab am Fjäll. Eigentlich wollte er heute einmal früher nach Hause, aber nun meldet er sich telefonisch bei einer Frau, die bereits Kenntnis hatte, aber kein Risiko sah. Alles sei seinerzeit professional gelaufen. Sönderling ist trotzdem beunruhigt.
Torkel Höglund hat einen neuen Auftrag erhalten. Im Gebirge hat man sechs Leichen gefunden. Billy arbeitet, seit er Edward Hinde erschossen hat, viel im Home-Office. Vanja Lithner hat sich für drei Jahre zu einer FBI-Ausbildung nach den USA beworben und wartet auf eine Zu- oder Absage ebenso wie Torkel, der ja, würde sie angenommen werden, Ersatz braucht. Die junge Jennifer Holgren ist eine recht engagierte Polizistin. Sie wäre ggf. die Richtige für sein Team.
Torkel und sein Team reisen an. Sechs Leichen wurden ausgegraben, und man soll nun diesen Fall untersuchen. Auch Sebastian ist wieder dabei. Bevor er aufbricht, macht er Ellinor klar, dass sie umgehend bei ihm ausziehen muss. Sie sei für ihn eine Haushälterin gewesen, mit der er Sex hatte, aber nicht mehr. Ellinor geht zur Arbeit, ist gekränkt, nimmt aber Sebastians Worte nicht für bare Münze. Erst als sie am späten Abend in die Wohnung will, findet sie vor der Türe ihren Koffer und bemerkt, dass auch das Schloss ausgetauscht wurde. Sie muss zurück in ihre alte Wohnung. Nun gibt es nur noch einen Weg, um Sebastian wieder zu gewinnen. Sie liefert Lithner ans Messer, was sie sofort am nächsten Tag in Angriff nimmt. Die wirklich aufschlussreichen Unterlagen, die seinerzeit Trolle zusammengestellt hat, erregen große Aufmerksamkeit. Lithner ist ein Wirtschaftskrimineller, dem man bislang nicht viel nachweisen konnte. Mit diesen Papieren sieht die Sache anders aus, und nach Prüfung der Unterlagen kommt Lithner in U-Haft.
Vanja fliegt sofort zurück und Sebastian begleitet sie. Nach dem Besuch im Gefängnis, der Vanjas Weltanschauung vollkommen durcheinandergebracht hat, geht sie nicht zu ihrer Mutter, sondern zu Sebastian. Bei ihm schüttet sie ihr Herz aus. Zum ersten Mal spricht auch Sebastian über seine beim Tsunami 2004 ums Leben gekommene Frau und Tochter. So glücklich er über Vanjas Besuch ist, so sehr plagt ihn das schlechte Gewissen. Er hatte seinerzeit Trolle Hermansson beauftragt, Lithner auszuspionieren. Nun hofft er, dass er nicht mit dieser Sache in Verbindung gebracht wird, denn würde Vanja dies erfahren, dann wäre es wohl mit der neugewonnenen Zuneigung vorbei.
Auf dem Fjäll hat man ein Zelt über die sechs Leichen gespannt. Leider wurden diese nicht so sanft ausgegraben, wie sich Ursula dies gewünscht hätte. Stümper denkt sie. Nach der Sichtung treffen sich alle wieder im Hotel. Jeder hat etwas beizutragen. Besonders die blutjunge Jennifer Holgren hat besonders gute Ansätze, was Vanja zeitweilig doch ein wenig aufstößt. Andererseits denkt sie, dass sie sowieso nicht mehr lange dabei sein wird. Sebastian schmiedet bereits Pläne, wie er den Weggang seiner Tochter vereiteln könnte. Was Sebastian in die Hand nimmt, gelingt.
Vanja erhält eine Absage und widmet sich jetzt voll und ganz der Auffindung dieser ominösen Ellinor Bergquist, die rasch gefunden ist und in einem Gespräch ihren Sebastian nicht belastet. Sebastian behauptet, die Unterlagen über Lithner wurden ihm von Trolle übergeben, der wohl vor seinem Tod recherchiert hatte. Vanja schluckt dies zunächst, bis sie in der Kantine eine Beobachtung macht. Sebastian nickt Hakan Persson Riddarstolpe zu, und dieses Nicken kann nur eine zufriedene Bestätigung dessen sein, was dieser für ihn getan hat. Wie Schuppen fällt ihr nun alles von den Augen. Die plötzliche Zuneigung, die Absage, die Unterlagen, die Verhaftung. Sebastian hat die Fäden gezogen, aber WARUM?
Zum Ende nimmt die Sache richtig Fahrt auf, und man bangt um das Leben von Mehran, dem fünfzehn Jahre alten Sohn von Shibeka Khan, der auf eigene Faust loszieht, um endlich Klarheit über das Verschwinden seines Vaters zu erhalten.
Fazit. Es gibt einige Ungereimtheiten, über die man hinwegschauen sollte.
Z.B. Billy fliegt mit der Gruppe zurück nach Stockholm. Einige Seiten später arbeitet er aber noch immer im Fjäll.
Shibeka ist der schwedischen Sprache nur mäßig mächtig, später beherrscht sie diese ausgezeichnet.
Auf Seite 7 wird es besonders unstimmig: Vor ihr lagen noch knapp fünfzig Kilometer auf der E14, ehe sie abfahren und den Wagen parken würde, anschließend war es noch eine Laufstrecke von etwa zwanzig Kilometern. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie drei Stunden rechnete, bis sie vor Ort war, und eine weitere um die Spuren zu beseitigen, zwei, um sich wieder zum Auto zu begeben und Bericht zu erstatten dann wäre sie am Abend pünktlich in Trondheim.
50 km bei besten Verhältnissen mit dem Wagen -35 Minuten
20 km bei besten Verhältnissen zu Fuß, ohne zu joggen 3,5 Stunden
1 Stunde, um die Spuren zu beseitigen = etwas mehr als 5 Stunden
In 2 Stunden wollte sie wieder zurück zum Auto gelangen!!!!!??????
Trotz dieser und noch weiterer Merkwürdigkeiten, die wohl das Lektorat übersehen hat, ist auch dieser Fall wieder hochinteressant, spannend und sehr empfehlenswert. Das Verhältnis der Familie Lithner zu Sebastian Bergman ist auf einer einzigen Lüge aufgebaut.