Wie schön! Er ist wieder da, Herr Kaiser alias Doc Sander alias Nick Wilder! Diesmal nicht auf dem Bildschirm, sondern mit seiner ausgesprochen lesenswerten Autobiografie, Hallo, Herr Kaiser! Das Leben ist wilder, als man denkt.
An einer Stelle im ersten Viertel des Buches erzählt er, dass ein Schulfreund irgendwann zu ihm sagte: "Klaus Wilder, jetzt muss ich dir mal was sagen. Weißt du, was mich früher immer an dir genervt hat? Wir haben doch bestimmt genauso viel in den Ferien erlebt wie du, aber du konntest deine Geschichten einfach immer spannender erzählen als wir, und das hörte sich dadurch immer nach mehr an. Und das fand ich früher scheiße." Man muss dem Schulfreund Recht geben. Erzählen kann Nick Wilder! Von der ersten Seite an zieht er den Leser in seinen Bann. Wo der Schulfreund allerdings nicht Recht hat: Es hört sich nicht nach mehr an, es ist mehr, was Nick Wilder aus seinem wilden Leben zu berichten hat! (Und scheiße ist das schon gar nicht.)
Er nimmt uns mit auf eine 466 Seiten lange, spannende Reise durch sein Leben, beginnend mit den Jahren seiner unbeschwerten Kindheit auf dem elterlichen Hof auf der Insel Fehmarn. Als das jüngste von vier Kindern ist er oft sich selbst überlassen. So fühlt er sich aber frei und kann seiner Fantasie beim Spielen freien Lauf lassen. Doch das Hofleben und das ewige "Sei artig, Klaus!" wird ihm schon früh zu eng und er beginnt, die Welt zu erkunden und allmählich seinen eigenen Weg zu gehen. Diese Neugier auf die Welt und ihre Menschen, der Drang nach Freiheit, der Wille und die Fantasie zur eigenen Lebensgestaltung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben von Nick Wilder.
Wir begleiten ihn weiter als Schüler, der lieber seine Zeit mit der eigenen Band verbringt und das Abi mit einer späten, allerletzten Anstrengung gerade noch schafft, als Studenten der Holzwirtschaft an der Uni Hamburg, der lieber durch die Welt tingelt oder sich um seine Windsurf-Schule in Dänemark kümmert. Wir erleben dabei einen jungen Menschen, der den Mut hat, seine Träume in die Tat umzusetzen, und der bereit ist, dafür zu ackern, bis es weh tut. Ob Rüben hacken, Gräber ausheben oder bei klirrender Kälte Strommasten schleppen, Wünsche kosten Geld und Geld muss erarbeitet werden. Erst recht, wenn vom Vater wenig Unterstützung zu erwarten ist.
Später wagt Nick Wilder den großen Sprung und geht in die USA, das Land seiner Träume. Mit fast nichts auf der Tasche kommt er in Florida an, spricht am Yachthafen von Fort Lauderdale einen Bootsbesitzer an, der gerade das Mahagoni an seiner Motoryacht schleift. Und schon hat der inzwischen diplomierte Holzwirt seinen ersten Job. 4 Dollar und 50 Cent die Stunde, inklusive Essen! Das ist der Beginn des American Dreams von Nick Wilder. Es folgen Jahre mit dem eigenen Windsurfladen in Fort Lauderdale, parallel dazu betreibt er im Sommer immer noch die Windsurf-Schule in Dänemark und pendelt häufig zwischen den Kontinenten. Dann immer mehr Aufgaben als Model und Werbefigur, erste Filmrollen hüben wie drüben.
Langsam, aber sicher reift in ihm der Entschluss, Schauspieler zu werden. Und wie macht man das? Für Nick Wilder ganz einfach: Man steigt in den Flieger nach Los Angeles, lässt ein paar Porträtfotos machen, sucht einen Agenten und nimmt Schauspielunterricht. Aber da ist ja noch der leichte deutsche Akzent! Na ja, dann schreibt man sich eben an der Universität von Los Angeles ein und studiert Phonetik. Dass Hollywood ein beinhartes Geschäft ist, muss auch Nick Wilder erfahren, aber allmählich bekommt er einen Fuß in die Tür. Seine Rolle in Stargate wird das Tor zu seiner Karriere in den USA. Mit Serien wie Die große Freiheit, Die Wagenfelds und S.O.S. Barracuda läuft das Geschäft auch in Deutschland rund.
Irgendwann fliegt Nick Wilder nach Montana, um Freunde zu besuchen. Die Reise wird schicksalhaft. In den Hügeln am Missouri River findet er ein magisches Fleckchen Erde. Hier, da ist er sich sicher, will er sich ein Haus bauen, sich niederlassen und glücklich werden: gesehen, gekauft! Aber bis dahin gibt es natürlich eine Menge anderer Projekte. Die Hamburg Mannheimer engagiert ihn als ihre Werbefigur Herr Kaiser, eine Aufgabe, die er vierzehn Jahre erfolgreich ausfüllt und als einen Meilenstein in seinem beruflichen Erfolg bezeichnet. Sein bedeutendster privater Erfolg stellt sich auch bald ein: Er lernt beim Dreh die Liebe seines Lebens kennen, die Südtiroler Schauspielerin Christine Mayn, die beiden heiraten. Nach dem Aus der Hamburg Mannheimer folgt fast übergangslos die Rolle als Doc Sander auf dem Traumschiff. Sieben Monate im Jahr, zehn Jahre lang reisen Nick und Christine mit dem Traumschiff um die Welt, bis er 2020, dankbar und etwas frustriert zugleich, aus der Serie aussteigt. Nächste Station Montana: Das Haus steht inzwischen, sie lassen sich nieder, das Glück zieht ein. Und natürlich laufen die nächsten Projekte schon. Bloß keine Routine, bloß kein Stillstand!
Was sich im Resümee wie ein beneidenswerter Lebenslauf anhören mag, ist bei Weitem nicht nur das. Zwischen den Kapiteln mit all ihren spannenden Episoden hält Nick Wilder immer wieder inne und reflektiert das Geschehene, die Menschen und das eigene Tun. Da ist der große Bruder und Hoferbe, der ihn nie ernst nimmt, zu dem er nie ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann und bei dessen Tod er nichts spürt. Da ist in seinen jüngeren Jahren der ewige Kampf ums Geld und ums Überleben, der Preis der Freiheit. Da sind die Selbstzweifel, ob er das Richtige tut, und die Schwierigkeit, dauerhafte Beziehungen zu Frauen einzugehen. Und da sind die Menschen, die seine Gutmütigkeit ausnutzten, manchmal bis an seinen finanziellen Ruin. Auch Rückschläge und Enttäuschungen in seiner Schauspielerlaufbahn muss er immer wieder einstecken.
Vor allen Dingen aber ist da der Vater, der sich nur für seinen großen Sohn und die eingefahrene Ernte interessiert, für den kleinen Klaus aber kaum. Von dem er nie die Anerkennung bekommt, die er gebraucht hätte. Als Nick Wilder in seinen Teenagejahren anfängt, seinem Vater Fragen zu seiner SA- und SS-Vergangenheit zu stellen, belastet das das Verhältnis zwischen Vater und Sohn noch zusätzlich. In diesem Punkt ist das Buch eine typische deutsche Nachkriegsgeschichte, nämlich die von schuldbeladenen, schweigenden Vätern, die keine Gefühle zeigen, geschweige denn über Gefühle sprechen können. Immer wieder sucht er das Gespräch mit seinem Vater und immer wieder wiegelt der Vater ab. Erst als Nick Wilder 40 und sein Erfolg auch auf dem Bildschirm in Deutschland offensichtlich ist, kann sich sein Vater einen Satz der Anerkennung für seinen jüngsten Sohn abringen. Dass Nick Wilder seine Kindheit und Jugend dennoch als glücklich bezeichnet, ist seiner liebevollen Mutter zu verdanken, zu der immer eine enge emotionale Bindung bestand, wie auch zu den beiden Schwestern.
Nick Wilder widmet in seinem Buch seinen Eltern in Dankbarkeit ein eigenes kleines Kapitel. Er hegt keinen Groll gegen seinen Vater, verharrt nicht in Vorwürfen oder Selbstmitleid über das, was ihm verwehrt blieb. Er versöhnt sich und geht noch einen Schritt weiter: "Letztlich war mein Vater der Antrieb für alles, was ich in meinem Leben gemacht und erreicht habe. [¿] Ich danke dem Universum, dass alles genau so verlaufen ist." Wow! Was für eine Einstellung!
Ich mag dieses Buch! Ich mag es, weil Nick Wilder ein cooler, ehrlicher Typ ist, der genau so offen über seine Schwächen und Niederlagen wie über seine Stärken und Erfolge erzählen kann. Es verdient Respekt und Anerkennung, wie er schon früh in seinem Leben und aus eigenen Stücken seine Talente und Leidenschaften erkennt und den Mut hat, sein Leben darauf aufzubauen, mit all den Krisen und der Selbstzweifel, die das mit sich zieht. Zwei Prinzipien haben ihm dabei immer wieder zur Seite gestanden: Hör auf deinen Bauch! Und wenn du es mit Menschen zu tun hast: Gib dein Ego an der Tür ab! Zusammengenommen heißt das für mich: Tue das, was du willst, aber lass dich von deinem Ego nicht steuern. Klingt richtig. Durchaus Stoff für Selbstreflexion¿
Ich mag auch die gute Laune, die das Buch durchzieht. Sie passt und kippt nicht über. Wahrscheinlich ist Nick Wilder einfach damit geboren. Wie auch immer: Dieses Buch geht unter die Haut und direkt ins Herz! Fünf Sterne!
L. Tönnies