Klug und sympathisch und lesenswert - aber das, was ich mir erhofft hatte, war es dennoch nicht.
Im August 2022 stach ein islamistischer Attentäter mit einem Messer auf den Schriftsteller Salman Rushdie ein, der im Staat New York einen Vortrag hielt. Rushdie wurde schwer verletzt und kam so eben mit dem Leben davon. Er verlor in Folge des Anschlags sein rechtes Auge und einige Funktionen seiner linken Hand. In "Knife" beschreibt er das Attentat, die Folgen und seinen Umgang mit den körperlichen und seelischen Verletzungen, die der Täter ihm zugefügt hat.Schreiben, richtiges Schreiben, ist immer auch Von-der-Seele-schreiben, mal mehr, mal weniger offensichtlich, mal einem stärkeren, mal einem sanfteren Drang nachgebend. Dass Salman Rushdie das Messerattentat mit einem Buch verarbeitet, liegt insofern nahe. Dass das Publikum sich dafür interessiert, was so ein existenzielles Ereignis mit einem Menschen macht, überrascht ebensowenig.Ich habe von Rushdie ein paar Romane gelesen und in unterschiedlicher Tiefe verstanden, aber immer gemocht. Sehr sympathisch (und witzig) fand ich seinen Mini-Auftritt (als Salman Rushdie) im ersten Film der Bridget-Jones-Reihe. Mich hat nach dem Angriff vor allem bewegt, wie jemand damit umgeht, halb erblindet zu sein (eine Horrorvorstellung für mich) und fortan deutlich entstellt mit Augenklappe oder dunkler Brille durchs Leben zu gehen. Letzteres spricht Rushdie übrigens gar nicht an.Eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Ideologie hinter dem Attentat, jenem verbohrten Islamismus, der schon so viel Leid über die Welt gebracht hat, wird versucht, aber sie bringt - wie zu erwarten war - kein erhellendes Ergebnis. Rushdie versucht sich an einem ausgedachten Treffen mit seinem Möchtegernmörder, die Sätze der beiden sind plausibel und gut nachempfunden, aber natürlich rauschen die Argumente aneinander vorbei. Rushdie legt danach auch noch einmal seine Intentionen dar, die ihn beim Schreiben der "Satanischen Verse" bewegt haben, er gibt ein sozusagen offizielles Statement zu seiner Haltung ab, soweit sie Religiöses betrifft (die ich - obwohl, im Gegensatz zu Rushdie, kein Atheist - sofort unterschreiben würde).Soweit finden wir also Erwartbares, Sympathisches, aber wenig Überraschendes in diesem Buch. Am besten fand ich die Passagen, in denen er über seine Rolle im Kulturbetrieb erzählt, sehr selbstironisch, sehr britisch, sehr tongue-in-cheek - und uns mit einem Augenzwinkern an seinen menschlichen Schwächen teilhaben lässt. Der Vortrag? Eine gute Sache und wichtig und das üppige Honorar wäre den Rushdies sehr gelegen gekommen, da die Klimaanlage der New Yorker Wohnung kurz davor war, den Geist aufzugeben. Als er blutend zusammenbricht, die Sorge um den schönen neuen Ralph-Lauren-Anzug - und die Scham, vor den Rettungssanitätern das Gewicht zu nennen, das in letzten Jahren ziemlich zugenommen hat.Demgegenüber ist die Geschichte von Rushdies Rekonvaleszenz nicht so schrecklich spannend - zumal wir ja wissen, wie sie ausgeht. Und die Schilderung, wie er seine Frau kennen und lieben gelernt hat, ja, die hat vom Spannungsbogen her schon ihren Platz, weil "wir wussten bis zu jenem Tag ja nicht, wie gut es uns ging". Dennoch sind glückliche Paare als literarisches Thema eher fad, und im Falle Rushdie kommt hinzu, dass die Gattin (ich wünsche beiden alles Glück der Welt, verstehen Sie mich nicht falsch!) die fünfte in Rushdies Leben ist und halb so alt wie er. Wenn ein Greis und Literaturstar von über siebzig mit einer schönen aufstrebenden Lyrikerin von Ende dreißig was anfängt, sträubt sich mein Enthusiasmus, dem Glück der beiden völlig unvoreingenommen zuzujubeln. Man könnte sagen, dass es diesem Buch, das sich jeder Schublade entzieht, immer dann nicht guttut, wenn man es mit der literarischen Brille betrachtet, während Autobiografisches und Essayistisches eher gut wegkommen.Rushdies positives Fazit, seine Entscheidung, den Attentäter und seine Ideologie als irrelevant beiseitezuschieben und sich auf sein eigenes Leben zu konzentrieren, das der Liebe und der literarischen Arbeit gewidmet sein soll, bewundere ich. Ich hätte mir von diesem Buch erhofft, dass von dieser positiven und zu begrüßenden Grundhaltung auch eine Scheibe für mich dabei gewesen wäre, irgendein Wink, wie man selbst, sollte man sich - Gott behüte! - je in einer vergleichbaren Situation finden, zu jener Stärke und Kraft finden kann, die einen gut weiterleben lässt.Im Ganzen interessant und sympathisch und nachvollziehbar und klug - und dennoch nicht das, weswegen ich das Buch gelesen habe.