Düster, leise und verstörend ¿ dieser Psychothriller kriecht unter die Haut und zeigt, wie unheimlich Nähe sein kann.
Sarah Nisi gelingt mit ihrem Buch ein fesselnder Psychothriller, der unter die Haut geht. Schon nach den ersten Seiten spürt man diese subtile, latente Bedrohung. Eine Atmosphäre, die stetig dichter wird und fast so wirkt, als würde man sich in einem Albtraum langsam verlieren.Die Handlung setzt in London an: Lester Sharp arbeitet im Fundbüro, einem Ort voller herrenloser Dinge wie Schlüssel, Handys oder Kleidungsstücke. Das Fundbüro als Ort verlorener Gegenstände wird zur perfekten Metapher für seinen inneren Zustand: Auch er fühlt sich wie etwas, das niemand mehr vermisst. Er ist kein einfacher Charakter, eher ein Sonderling mit Sammelleidenschaft. Jemand der Nähe nicht gewohnt ist und soziale Beziehungen nur umständlich gestalten kann. Durch Rückblenden bekommt man einen Eindruck von Lesters Vorgeschichte. Als Erin, eine Tänzerin, nebenan einzieht, erwacht in ihm eine Besessenheit. Er will ihr nahe sein. Näher, als es gut ist. Erin hingegen ist keine klischeehafte "verfolgte Frau". Sie ist stark, aber verletzlich, kontrolliert, aber zunehmend verunsichert. Ihre Wahrnehmung der Bedrohung wirkt authentisch. Es ist nicht die panische Angst, sondern das wachsende Unbehagen, das sich irgendwann nicht mehr wegschieben lässt.Der Schreibstil ist ruhig, beinahe unaufgeregt und genau das macht die Wirkung so stark. Nisi verzichtet auf reißerische Effekte, stattdessen zeichnet sie mit feinen Pinselstrichen eine beklemmende Welt, in der jedes Detail zählt: die Gerüche im Fundbüro, das Knarzen alter Dielen, die Einsamkeit in den Blicken. Ihre Sprache ist präzise, fast klinisch in der Beobachtung, aber zugleich voller Atmosphäre. Wer genau liest, erkennt, wie stark die Wortwahl zur psychologischen Spannung beiträgt: leise, aber stetig zieht sie den Leser tiefer hinein.Auch wenn das Ende überraschend ist, hatte ich anfangs manchmal das Gefühl, die Story komme nicht so richtig in Fahrt, bis sich das Tempo zunehmend steigert.Das zentrale Motiv des Romans ist Nähe und was passiert, wenn Nähe nicht freiwillig, sondern erzwungen wird. Was ist noch Zuneigung, was ist schon Übergriff? Wie schnell kippt Sehnsucht in Kontrolle? Nisi gelingt es, diese Fragen subtil, aber nachhaltig in den Raum zu stellen. Es geht nicht nur um Stalking oder Obsession, sondern um das vielschichtige Bedürfnis nach Verbindung und die Abgründe, die entstehen können, wenn dieses Bedürfnis ins Leere läuft."Ich will dir nah sein" ist ein kluger, stiller Psychothriller, der auf drastische Effekte verzichtet und stattdessen mit psychologischer Tiefe überzeugt. Wer gern in das Innenleben von Figuren eintaucht, zwischen den Zeilen liest und feine Spannungsbögen schätzt, wird hier viel entdecken. Ein Buch, dass nicht durch Lautstärke, sondern durch seine leise Bedrohlichkeit beeindruckt. .