Besprechung vom 04.08.2025
Es dräut und dräut
Sophie Morton-Thomas fehlt die zündende Idee
Der britische Schriftsteller Michael Moorcock wurde einmal in einem Interview zu guter Schreibtechnik befragt. Er antwortete: "Auch virtuoses Meißeln hat uns nicht Michelangelos David beschert." Soll heißen: Ohne eine gute Idee für die Handlung hilft einem Roman die beste Technik nichts. Seine Landsmännin Sophie Morton-Thomas tritt mit "Das Nest" den Beweis dieser These an.
Ihr Krimi folgt zwei Erzählern. Da ist zum einen Fran, Besitzerin eines Campingplatzes an der Küste, auf dem sie Mobilheime vermietet. Eines davon hat sie ihrer Schwester und deren Familie als Unterschlupf gegeben, damit ihr Schwager einen Alkoholentzug durchziehen kann. Die Nichte freundet sich derweil mit Frans Sohn Bruno an, was dem Ehemann Dom gar nicht behagt. Doch auf dessen Meinung gibt Fran nicht viel, ihre Ehe bröckelt. Statt sich um die Probleme zu Hause zu kümmern, flieht Fran in Richtung Strand und widmet sich der Vogelbeobachtung, auch wenn sie immer wieder betont, davon eigentlich kaum genug Ahnung zu haben.
Das geht so lange gut, bis eines Morgens am Rand ihres Campingfelds eine Gruppe Roma Quartier bezieht. Aus dem Fenster seines Wohnwagens beobachtet der siebzig Jahre alte Tad, der zweite Erzähler dieses Romans, die Vorgänge um die Mobilheime und Frans Familie. Das klingt erst einmal hübsch: zwei Stimmen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die gleichen Ereignisse schauen, den Lesern also zusätzliche Details liefern könnten. Morton-Thomas arrangiert sie immer im Wechsel, erst Fran mit Datumsangabe, dann folgt Tad mit seinen Beobachtungen.
Warum genau die beiden aus der Ich-Perspektive erzählen, wird aber nicht klar. Es sind weder Tagebucheinträge, die sie hier verfassen, noch wird ein Bewusstseinsstrom festgehalten. Was Tad und Fran erzählen, gleicht eher einem inneren Monolog, der, dennoch kuratiert, immer weniger Informationen preisgibt, als die Figuren eigentlich wissen.
Das fällt besonders schwer ins Gewicht, wenn man versucht, den Mordfall, der hier natürlich irgendwann geschieht - die neue Grundschullehrerin wird erschlagen in einer Vogelbeobachtungshütte am Strand entdeckt -, anhand der von den beiden Figuren gegebenen Beobachtungen zu lösen. Denn manchmal liefern Fran oder Tad drei, vier Kapitel später ein Detail nach, das alle bisherigen Vermutungen in anderes Licht rückt, alle Theorien über den Haufen wirft. Wohlwollend könnte man meinen, Tad und Fran seien eben unzuverlässige Erzähler - nur, warum? Wenn sie wenigstens einen Ermittler anlügen würden, dies also ihre Protokolle beim Verhör wären, ergäbe das immerhin einen Sinn.
Statt auf solche Binnenlogik der Erzählung zu achten, versucht die Autorin so viel unterschwelliges Dräuen wie möglich in die Alltagsgeschichten zu streuen. Etwa wenn Fran das Mobilheim ihrer Schwester besichtigt: "Ein eisiger Windhauch streift meinen Nacken und ich sehe mich nach dem Ursprung um. Die Kälte ist wie vielbeiniges Getier, das meine Wirbelsäule hochkrabbelt. Irgendetwas stimmt nicht. Ich ziehe mir den Schal fester um den Hals und versuche, das ungute Gefühl in meinem Magen zu ignorieren."
Was Fran findet, ist ein zerschmettertes Fenster, das man notdürftig mit Pappe ausgekleidet hat, um den Winterwind abzuhalten. Warum hat die Schwester den Vorfall nicht direkt gemeldet? Von derlei Dingen, die Fran schwer im Magen liegen, gibt es noch einige. Nie aber spricht die Frau mit den Betreffenden darüber. Auch dies könnte nun natürlich ein Ausgangspunkt für das intime Porträt einer ängstlichen Frau sein, die Konflikte scheut und, statt in Kommunikation mit ihren Mitmenschen zu treten, lieber auf Vogelschau geht. Aber auch das bleibt auf halbem Weg stecken.
"Das Nest" wäre gern ein Blick in die schwarzen Tiefen der menschlichen Seele. Allein, es fehlt an Menschenkenntnis und Erfahrung, um die Figuren glaubwürdig zu gestalten. Spätestens wenn am Ende jemand die Schuld einer anderen Person auf sich nimmt, obwohl alles, was man bislang erfahren hat, dagegen sprechen würde, fragt man sich, warum man die dreihundert Seiten überhaupt so genau gelesen hat. MARIA WIESNER
Sophie Morton- Thomas: "Das Nest".
Aus dem Englischen von Lea Dunkel.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2025.
320 S., br.
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