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Produktbild: Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen | Volker Weidermann
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Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen

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1919, Revolution in München - und alle sind vor Ort: Ernst Toller, Thomas Mann, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke, Gustav Landauer, Oskar Maria Graf, Viktor Klemperer, Klaus Mann . . .

Wann gab es das schon einmal - eine Revolution, durch die die Dichter an die Macht gelangten? Doch es gibt sie, die kurzen Momente in der Geschichte, in denen alles möglich erscheint . . . Von einem solchen Ereignis, der Münchner Räterepublik zwischen November 1918 und April 1919 erzählt Volker Weidermann im Stil einer mitreißenden Reportage, bei der der Leser zum Augenzeugen der turbulenten, komischen und tragischen Wochen wird, die München, Bayern und Deutschland erschütterten. Nach der Vorgeschichte, dem Ende des 1. Weltkriegs und der Absetzung des bayrischen Königs, beginnt der magische Moment, in dem alles möglich erscheint: radikaler Pazifismus, direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit, die Herrschaft der Phantasie. An der Spitze der Rätebewegung stehen die Schriftsteller Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam, auf die nach den Tagen der Euphorie und der schnellen Ernüchterung lange Haftstrafen oder der Tod warten. In rasantem Tempo und aus der Perspektive von Beteiligten und Beobachtern vor Ort wie Thomas Mann, Klaus Mann, Rainer Maria Rilke, Adolf Hitler, Viktor Klemperer oder Oskar Maria Graf entsteht so ein historischer Thriller über ein einzigartiges Ereignis der deutschen Geschichte.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
09. November 2017
Sprache
deutsch
Untertitel
Neuauflage, Nachdruck.
Auflage
Neuauflage, Nachdruck
Seitenanzahl
288
Autor/Autorin
Volker Weidermann
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Gewicht
413 g
Größe (L/B/H)
208/133/27 mm
ISBN
9783462047141

Portrait

Volker Weidermann

Volker Weidermann, geboren 1969 in Darmstadt, war Gastgeber des »Literarischen Quartetts« im ZDF. Er ist Kulturkorrespondent der Zeit und Autor zahlreicher Bücher, darunter »Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen« und »Mann vom Meer«. Außerdem ist er Herausgeber der Reihe »Bücher meines Lebens«.


Pressestimmen

»Eine Einladung in eine Zeit zu gehen, über die wir viel zu wenig wissen. Und eine wunderbare Fülle der Entdeckungen und des Wissenswerten über die Münchner Räterepublik. « Denis Scheck, SWR Lesenswert

»Es ist vor allem die Art des Erzählens, die Weidermanns Buch so großartig macht. [. . .] So wird das Kleine im Großen sichtbar. All das verpackt Weidermann in eine herrliche, leichte, wunderbar verknappte Sprache, die all dem eine augenfällige Dichte und Intensität verleiht. « Elmar Ries, Westfälische Nachrichten

»Weidermann treibt seine Erzählung mit flottem Tempo voran, ganz im Stil eines Reporters, der vor hundert Jahren zwar nicht dabei war, aber durch sein spannungsorientiertes Vorgehen zumindest den Eindruck wachhält, dass er dabei hätte gewesen sein können. « Wolf Scheller, Nürnberger Nachrichten

»Volker Weidermanns Buch ist eine fiebrige, fantastische Erzählung, in der sich die Stimmen überschlagen. « Lars Friedrich, BR

»Weidermanns multiperspektivische Darstellung ist wie geschaffen für eine so dichte, chaotische Zeit, in der sich die Ereignisse überschlugen und den Akteuren immer wieder die Kontrolle entglitt. « SWR 2 Buch der Woche

»[. . .] ein verdammt gutes Buch, das uns aufs Sinn-, Hirn- und Augenfälligste deutlich macht, dass Literatur und Politik kein Gegensatzpaar sind, sondern zusammengehören, ob man es will oder nicht. Und dieses Buch ist selbst ein Traum, denn es ermutigt uns zu träumen, dass alles auch anders sein könnte, dass die Welt trotz aller Ernüchterung und Desillusionierung veränderbar bleibt und bleiben muss. « Albert Ostermaier, FAS

»[. . .] ein sprachlich virtuoses Vorlesebuch. « Andreas Platthaus, FAZ

»Er [Volker Weidermann] rafft, was es an Dokumenten, an Zeitzeugenberichten gibt, zusammen, wirbelt es in eine Chronologie und versucht sich einzufühlen in jene Tage im November. [ ] Genau in diesen subjektiven Wahrheiten entfaltet der Text seine Kraft. Man meint, man sei dabei, wenn Kurt Eisner feurige Reden hält, man meint, man schaue Thomas Mann beim Schreiben seines Tagebuchs über die Schulter [ ]. « Martina Kothe, NDRkultur

»Weidermann hat Sympathie für die Münchner Träumer, sie haben alles riskiert, und sie träumten nicht für sich allein. Sein Buch versagt dem Leser den Komfort des Klischees. Anders gesagt: Das Scheitern von Idealisten, die von einer besseren Welt träumen, registriert Weidermann im Rückblick nicht mit billigem Sarkasmus das ist in der schwer hämehaltigen Gegenwart ein Wert an sich. « Holger Gertz, Süddeutsche Zeitung

»Volker Weidermann hat mit Träumer eine elegante und mitreißende Erzählung über die Münchner Räterevolution 1918/19 geschrieben. [. . .] Träumer ist eine atemberaubende Verdichtung dieses utopischen und doch ganz realen Moments bayerischer Avantgarde-Geschichte [. . .]. « Adrian Prechtel

»eine Hommage an die von Humanismus und Demokratie durchdrungenen Ideen der damaligen Revolution« Literatur in Bayern

»Das wird Furore machen. « Hans Magnus Enzensberger

»Ein Münchener Geschichtsthriller vom Spannendsten und Allerfeinsten. « Hannes S. Macher, Münchner Feuilleton

»Auf galante Weise macht nun Volker Weidermann [. . .] aus den dramatischen Erlebnissen einen Trhiller aus der Perspektive der damaligen Protagonisten. « Florian Hartleb, Passauer Neue Presse

Besprechung vom 13.08.2025

Rilkes Schnupfen und Picassos Katzen

Von Florian Illies' "1913" bis Uwe Wittstocks "Marseille 1940": Seit mehr als einem Jahrzehnt reüssieren historische Sachbücher, die kleine Szenen aus dem Alltag von Dichtern und Denkern zu einem Zeitpanorama montieren. Ist das moderne Geschichtsschreibung oder Netflix für Bildungsbürger?

Rainer Maria Rilke hat Schnupfen." So lesen wir im Kapitel "März" von Florian Illies' Sachbuch "1913: Der Sommer des Jahrhunderts". Davor steht, durch Raute und Leerzeilen getrennt, ein kaum seitenlanger Abschnitt zum Selbsthass und Alkoholismus des Dichters Georg Trakl. Nach Rilkes Schnupfen und einem weiteren Trennungszeichen hören wir von der "schwer depressiven" Virginia Woolf, die ihr erstes Romanmanuskript zum Verleger schickt. Soll die Empfindlichkeit Rainer Maria Rilkes also mit den wirklichen Problemen anderer Schriftsteller kontrastiert werden? Solche Vergleiche werden ebenso dem Leser überlassen wie eine etwaige Verbindung von Rilkes Gesundheitszustand und seinem Werk.

Gerade weil die Bedeutung dieses Schnupfens in der Literaturgeschichte aber offenbleibt, ist seine Bedeutung in der Literaturgeschichtsschreibung umso erheblicher. Denn der eingangs zitierte Satz treibt, in seiner Alltäglichkeit und Unverbundenheit, Illies' Methode in "1913" auf die Spitze. Und mit dieser Methode, so heißt es heute im Klappentext, begründete das Buch "ein neues Genre der erzählenden Geschichtsschreibung".

Man kann das kaum als großspurige Eigenwerbung des Verlags abtun. Erschienen 2012 und damit überpünktlich zum Jubiläum (wenn man bei einer bloßen Jahreszahl von einem Jubiläum sprechen kann), ist "1913" zu einem der erfolgreichsten deutschen Sachbücher des einundzwanzigsten Jahrhunderts avanciert. Während Verlage in der Regel schon mit ein paar Tausend verkauften Exemplaren zufrieden sind und deutsche Autoren sich im Ausland eher schwertun, stand "1913" achtzehn Wochen lang auf Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste, verkaufte sich rund eine Million Mal und wurde in 27 Sprachen übersetzt.

Rasch fand Illies' Erfolgsmodell fast ebenso erfolgreiche Nachahmer. Volker Weidermann mit "Ostende 1936" und "Träumer", Wolfram Eilenberger mit "Zeit der Zauberer" und "Feuer der Freiheit", Uwe Wittstock mit "Februar 33" und "Marseille 1940", Illies mit seinen eigenen Sequels "1913: Was ich unbedingt noch erzählen wollte" und "Liebe in Zeiten des Hasses": Sie alle schreiben über große Schriftsteller, Künstler und Philosophen, bevorzugt der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie alle montieren kurze Szenen aus dem Alltag dieser Intellektuellen zu einem Panorama ihres Lebens und ihrer Zeit. Und sie alle zählen damit zu den gegenwärtig meistverkauften Autoren ihrer durchweg sehr renommierten Verlage, ja zu den meistverkauften Sachbuchautoren überhaupt. Was ist es, das ihre Werke neu, aufregend und erfolgreich macht? Und was geht dabei womöglich verloren?

Traditionell gelten Sachbücher, zumal historische, als anstrengend und schwer. Wenn Texte, frei nach Horaz, entweder nützen oder erfreuen sollen, steht hier eindeutig der Nutzen, im Sinne des Wissenszuwachs, im Vordergrund. Für diesen Wissenszuwachs, so häufig die stillschweigende Annahme, muss der Leser die ein oder andere Strapaze auf sich nehmen, etwa abstrakte Gedankengänge nachvollziehen oder mit fremden Begriffen hantieren lernen.

Die Sachbücher von Illies und seinen Nachfolgern sind dagegen alles andere als anstrengend und schwer. Das beginnt bei der Länge der Texteinheiten. Während sich traditionelle Kapitel über Dutzende Seiten ziehen, sind die Abschnitte hier oft nur ein paar Zeilen, selten mehr als ein oder zwei Seiten lang, durch Asteriske oder andere Sonderzeichen getrennt und auch inhaltlich kaum verbunden. Gerade noch sahen wir Thomas Mann sein neues Grundstück besichtigen, jetzt hören wir von Picassos drei Siamkatzen, gleich blicken wir Kafka bei seinen selbstbezichtigenden Liebesbriefen an Felice Bauer über die Schulter: alles innerhalb von einer Minuten Lesezeit. So fühlt sich auch ein Leser mit geringer Aufmerksamkeitsspanne hinreichend unterhalten, kann jederzeit aus- und einsteigen. Fast ist es, als scrolle man durch den Feed eines Social-Media-Accounts im Jahr 1913 oder 1933.

Wie in vielen Medienformaten der Gegenwart wird zudem einiges getan, um das Geschehen so nah wie möglich an den Betrachter heranzuholen. Der fast durchgehende Gebrauch des Präsens hilft, die historische Distanz zu überbrücken. Äußere Beschreibungen wie Angaben zum Wetter erzeugen eine realistische Atmosphäre, lassen den Leser mitsehen und mitfühlen: "Berlin friert schon seit Wochen", beginnt Wittstocks "Februar 33"; "die bunten Badehäuser leuchten in der Sonne", hebt Weidermanns "Ostende 1936" an. Man erkennt, dass die Autoren Feuilletonisten sind, und nicht Wissenschaftler, wie sonst bei historischen Sachbüchern üblich. Bisweilen überschreiten sie gar die Grenze zur Fiktion: Während Wittstock betont, dass kein noch so kleines Detail bei ihm erfunden sei, hat man Illies' allwissendem Erzähler einige Sachfehler nachgewiesen. Weidermann wiederum setzt so stark auf eine anschauliche Außen- und psychologisierende Innensicht, dass sich mancher Rezensent fragte, ob "Ostende 1936" noch ein erzählendes Sachbuch oder nicht eher ein auf Tatsachen beruhender Roman sei.

Vor allem aber sorgt für Nahbarkeit, dass die großen Geister der Vergangenheit nicht in ihrem Denken, sondern in ihrem Alltag präsentiert werden: in dem Bereich also, den sie mit uns teilen und den wir deshalb am besten nachvollziehen können. Das gilt selbst dann, wenn sie sich darin - wie man es von Genies fast schon erwartet - vollkommen außergewöhnlich verhalten: Kaum jemand würde, wie Ludwig Wittgenstein, auf ein Millionenerbe verzichten, um Volksschullehrer zu werden; dennoch sind uns Fragen von Erbe und Berufswahl näher als Probleme der analytischen Sprachphilosophie. Die "Duineser Elegien" konnte nur Rilke schreiben, Schnupfen aber hatte jeder schon einmal.

Nun sind Illies und seine Nachfolger nicht die Ersten, die die Großen der Geschichte im Kleinen darstellen wollen. Schon im ersten Jahrhundert nach Christus provozierte der griechische Biograph Plutarch die traditionell kriegsversessenen Historiker der Antike mit der These, "eine kleine Sache, ein Wort oder ein Witz" sage mehr über den Charakter eines Menschen aus als "Schlachten mit Tausenden von Toten". Der ebenso rebellisch gestimmte Friedrich Nietzsche plädierte in seiner Frühschrift "Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen" für dezidierte Unvollständigkeit: "Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben". Egon Friedell schließlich, Sprössling der Wiener Moderne und Autor einer bis heute viel gelesenen "Kulturgeschichte der Neuzeit", hielt die Anekdote gar für die "einzig berechtigte Kunstform der Kulturgeschichtsschreibung".

Der Sinn des Kleinen liegt nach solcher Auffassung darin, pars pro toto auf etwas Größeres zu verweisen: auf den Charakter eines Herrschers, die Eigenheiten eines Denkers oder die Merkmale einer Epoche. Doch was die Werke von Plutarch oder Friedell zu Klassikern gemacht hat, ist bei Illies und Co. deutlich schwerer zu entdecken. Auf welches Größere verweisen Kafkas Liebesnöte oder Picassos Katzen? Mit anderen Worten: Was wollen uns die Erfolgsbücher der vergangenen Jahre eigentlich sagen?

Wolfram Eilenbergers Bestseller "Zeit der Zauberer", "Feuer der Freiheit" und "Geister der Gegenwart" lassen sich noch am ehesten als Einführung in Leben und Werk der behandelten Figuren begreifen, als popularisierende Philosophiegeschichte. Zu Wittgensteins "Tractatus logico- philosophicus" zum Beispiel schreibt Illies nur, dieser sei "so komplex, dass selbst Russell, als er brieflich darum gebeten wird, Korrektur zu lesen, sich noch einmal seine eigenen Fragen schicken lassen muss, um Wittgensteins Antworten zu verstehen". Eilenberger dagegen zitiert immer wieder aus dem Werk, fasst dessen Grundgedanken zusammen und setzt die Entstehung mit Wittgensteins Kriegserlebnissen in Beziehung. Es hilft zweifellos, dass er sich auf je vier Protagonisten konzentriert, und sich die Schriften von Philosophen leichter auf ein paar Thesen bringen lassen als die Romane der von Illies, Wittstock und Weidermann vorrangig behandelten Dichter.

Bei Wittstock und Weidermann steht meist ein dramatischer historischer Augenblick im Mittelpunkt: die Münchner Räterepublik 1918/19 ("Träumer"), die ersten Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ("Februar 33") oder der deutsche Frankreichfeldzug mit seinen Folgen für literarische Emigranten ("Marseille 1940"). Wittstock formuliert sogar so etwas wie ein historiographisches Programm. Angesichts erschreckender Parallelen zur Gegenwart wolle er zeigen, "was nach einer fatalen politischen Fehlentscheidung mit einer Demokratie geschehen kann", schreibt er im Vorwort zu "Februar 33". Und im Nachwort zu "Marseille 1940" beklagt er, dass Varian Fry, der Protagonist seines Buchs und wichtigste Fluchthelfer deutscher Emigranten, bislang nicht die Anerkennung gefunden habe, die er verdiene.

Am schwersten ist eine Aussageabsicht beim erfolgreichsten der Autoren, bei Florian Illies, zu identifizieren. Die Hunderte Szenen in den beiden Büchern zu "1913" verbindet wenig mehr als ihre bloße Gleichzeitigkeit. Zwar entdeckt man bei manchen Figuren über die insgesamt 600 Seiten gewisse Verhaltensmuster, die gelegentlich auch zu einem Charakterbild verdichtet werden. So, wenn Illies Kafka kommentiert: ",Noch immer unentschieden. Franz'. Vier Wörter, eine Autobiographie." Doch sind die behandelten Figuren ja nicht durch ihre Persönlichkeit, sondern durch ihre Werke in die Geschichte eingegangen - und Letztere sind für Illies meist nur als Kuriositäten interessant. Auch in der Verlagsankündigung zu seinem nächsten Buch, das im Oktober erscheinen und die "Familie Mann in Sanary" behandeln soll, ist von Literatur keine Rede.

Man wird Wittstock, Weidermann und Illies vermutlich am ehesten gerecht, wenn man ihre Bücher nicht als Geistes-, sondern als Zeitgeschichte betrachtet und daran bemisst. Das Größere, auf das die vielen Anekdoten verweisen, ist vielleicht einfach die Summe seiner Teile: ein historisches Panorama. Der Wert ihrer Bücher liegt dann nicht primär darin, die Dichter und Denker von ihren Denkmälern ins Alltagsleben zu holen. Ihr Wert liegt vor allem darin, in diesem Alltagsleben eine vergangene Epoche erfahrbar zu machen - wozu Schnupfen ebenso gehören kann wie Emigration. Das hohe Erzähltempo und der häufige Perspektivwechsel erhöhen die immersive Anziehungskraft zusätzlich. Nach mehreren Stunden binge reading von "1913" glaubt man sich womöglich wirklich ins Jahr 1913 zurückversetzt.

Wie bei vielen Netflix-Serien oder Social-Media-Formaten hat die unmittelbare Anschaulichkeit der Darstellung freilich auch ihre Schattenseiten. Denn so sehr Nahbarkeit und Einfühlung dazu beitragen, den Betrachter ins Geschehen hineinzuziehen, braucht es zur Erkenntnis doch Abstand und Reflexion. Die besten historischen Sachbücher wechseln daher Passagen lebhafter Erzählung mit Passagen betrachtender Analyse ab. Letztere fehlen bei Illies und Co. Die einzelnen Szenen folgen in einem solchen Tempo aufeinander, dass dem Leser keine Zeit bleibt, über Zusammenhänge und Kausalitäten nachzudenken - geschweige denn dass die Texte selbst darüber reflektierten. Hätte die Moderne auch ohne den Ersten Weltkrieg ihren gesellschaftlichen Durchbruch erlebt? Inwiefern trugen deutsche Intellektuelle zur geistigen Atmosphäre bei, die den Nationalsozialismus erst ermöglichte? Antworten auf solche Fragen sucht man vergebens. Der Wissenszuwachs bleibt begrenzt.

So hängt die Bewertung der jüngsten Erfolgsbücher auch von der eigenen Sicht auf die Gegenwart ab, der eigenen Haltung zu Geistesdemokratismus respektive Kulturkritik. Entweder man freut sich, dass Illies und andere eine Form gefunden haben, mit der sich auch im 21. Jahrhundert ein breites Publikum für die Geschichte und Kultur der Klassischen Moderne interessieren lässt. Oder aber man bedauert die Vereinfachungen und Verrenkungen, die dafür offenbar nötig sind. Wie jedes Geschichtswerk ist auch das historische Sachbuch der Gegenwart ein Kind seiner Zeit. JANNIS KOLTERMANN

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LovelyBooks-BewertungVon FrancieNolan am 13.01.2023
3,5* für ein lebendig geschriebenes, dadurch aber auch an der Oberfläche bleibendes und teilweise zu subjektives Buch. Trotzdem lesenswert.
LovelyBooks-BewertungVon mattituck am 01.12.2021
spannendes Thema, aber sprachlich kam ich gar nicht rein, habe mich eher durchgekämpft
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