Alle Diktatoren und Autokraten stürzen irgendwann. Dieses Buch zeigt warum und wie - und was wir daraus lernen können.
Überall auf der Welt sind Demokratien unter Druck, überall entstehen Autokratien und Diktaturen. Die Herrscher inszenieren sich als harte Männer, die stark sind und unbesiegbar. Aber sie alle scheitern. Denn Alleinherrschaften haben Systemfehler - sie können nicht auf Dauer funktionieren.
Manchmal sind es Mitglieder des inneren Machtzirkels, manchmal ist es das Militär, manchmal erheben sich die Massen, weil sie genug haben von Korruption und falschen Entscheidungen, manchmal sind es Oppositionelle, die aus dem Exil einen Umsturz planen. Tyrannen haben immer mehr Feinde als Freunde - und das Ende ihrer Herrschaft ist oft dramatisch: Exil, Gefängnis, Tod. Wie sie stürzen hat große Auswirkungen auf den weiteren Gang der Geschichte.
Marcel Dirsus zeigt in diesem glänzend geschriebenen Buch, welche Faktoren zum Ende von Alleinherrschaften führen. Seine Forschung beruht unter anderem auf Gesprächen mit Anführern von Revolutionen, mit Rebellen und Soldaten auf der ganzen Welt. Er blickt ins Innerste der Gewalt und schildert minutiös die entscheidenden Momente, in denen Tyrannen die Macht verlieren. Anhand von Beispielen aus der Gegenwart und Geschichte entwickelt er eine Systematik, die es erlaubt, den Mechanismus der Macht zu verstehen.
»Mit 'Wie Diktatoren stürzen' hat Marcel Dirsus ein wunderbar lehrreiches Buch verfasst, dass fast alles was wir über Diktatoren wissen auf den Kopf stellt und uns auf eine analytisch kluge, aber auch unterhaltsame Art zeigt, wo und wie diese verwundbar sind. Nicht nur Leseempfehlung, sondern auch ein Lesevergnügen. « Carlo Masala
»Faszinierende Einblicke in den Aufstieg - und dann unausweichlichen Fall - von Diktatoren. « The Independent
»Eins der besten Bücher des Jahres 2024« The Economist
Besprechung vom 22.03.2025
Diktatoren müssen ständig Angst haben
Die Demokratie ist auf dem Rückzug. Wie lässt sich das ändern? Ein unkonventioneller Blick auf die Welt der Autokraten.
Von Thomas Jansen
Von Thomas Jansen
Der Titel klingt so naiv, dass es provoziert: "Wie Diktatoren stürzen und wie Demokraten siegen können". Als ob es dafür eine Anleitung geben könnte. Als ob nicht gerade das deutsche Beispiel mit den so gegensätzlichen Umbrüchen von 1945 und 1989 lehre, dass es kein Patentrezept gibt, um Diktaturen den Garaus zu bereiten. Aber wer das Buch von Marcel Dirsus einmal angefangen hat, wird schnell eines Besseren belehrt: Naiv ist das, was der deutsche Politikwissenschaftler mit Oxford-Abschluss auf rund 350 Seiten ausbreitet, keineswegs: Es ist originell und anregend.
In bester angelsächsischer Tradition behandelt Dirsus Fragen, die im deutschen akademischen Betrieb keine Heimat haben: Warum wird jemand überhaupt Diktator? Wie muss er seine Herrschaft sichern, wenn er möglichst lange an der Macht bleiben will? Oder: Was muss ein Diktator beachten, wenn er sich zurückziehen und die Macht in andere Hände geben will? Wie groß sind die Chancen, dass nach dem Sturz eines Diktators eine Demokratie entsteht? Und schließlich eben: Wie kann sich ein Volk von seinem Diktator befreien? In Zeiten, in denen kaum noch jemand an einen weltweiten Sieg der liberalen Demokratie glaubt, sind das Fragen, die aktueller denn je sind. Die Grundannahme des Buches bildet dabei die ebenso einleuchtende wie oft ausgeblendete Erkenntnis: Diktatoren sind in der Regel nicht einfach skrupellose und größenwahnsinnige Psychopaten, die völlig irrational handeln. Auch Diktatoren agieren rational, sind also zumindest bis zu einem gewissen Grad berechenbar. Unabhängig von jeder Ideologie brauchen alle Diktatoren dieselben drei Dinge: Geld, Waffen und Leute. Und sie sind nicht so allmächtig, wie es oft scheint, ja sie müssen in ständiger Angst leben, entmachtet zu werden.
Dirsus' Darstellung kommt zugute, dass er die eingetretenen Pfade der vergleichenden Diktaturforschung meidet: Hitler und Stalin nehmen nur wenig Raum ein. Und auch mit der Frage, welche Merkmale eine totalitäre von einer nur autoritären Herrschaft unterscheiden, hält er sich nicht auf. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf den Diktatoren der vergangenen Jahrzehnte, auf den Gaddafis, Saddam Husseins und Mobutus dieser Welt. So schildert der Autor zu Beginn Gaddafis legendären Paris-Besuch im Jahr 2007, als der libysche Machthaber in der französischen Hauptstadt in einem Zelt residierte, von seiner ausschließlich weiblichen Leibgarde bewacht, mit einem Tross von hundert Autos.
Wie also lässt sich ein Diktator stürzen? Das Buch vermittelt keine neuen Erkenntnisse, aber es beschreibt auf klare, anschauliche und ausgewogene Weise, welche Mittel dazu zur Verfügung stehen und welche Vor- und Nachteile sie jeweils mit sich bringen. Sanktionen etwa sind immer beliebter geworden, weil sie, wie der Autor schreibt, Entscheidungsträgern erlauben, "'irgendetwas zu tun', ohne ein großes Risiko einzugehen".
So kam es, dass in den 1990er Jahren mehr als fünfzig Prozent der Weltbevölkerung mit Sanktionen belegt waren. Während der ersten Amtszeit Donald Trumps habe es im Durchschnitt fast vier Sanktionsbestimmungen pro Werktag gegeben, schreibt Dirsus. Regime, die ganz auf eine Person ausgerichtet sind, und Monarchien seien dabei anfälliger für Sanktionen als Militärdiktaturen und Einparteistaaten. Aber etwas Entscheidendes bewirkt haben Sanktionen selten. Überhaupt sind die Chancen, dass sich eine Diktatur in eine Demokratie verwandelt, nicht allzu hoch: Zwischen 1950 und 2012 wurden laut einer Studie nur zwanzig Prozent der autokratischen Regime von einer Demokratie abgelöst.
Bei allem Bemühen des Autors, auch die Hindernisse zu benennen, die einem Sturz von Diktatoren entgegenstehen: Bisweilen beschleicht den Leser an manchen Stellen dann doch das Gefühl, dass er die Möglichkeiten, unter einem diktatorischen Terrorregime Widerstand zu leisten, zu optimistisch einschätzt. Andererseits ist es gerade dieser optimistische Grundzug, der das Buch trotz seines wenig erbaulichen Inhalts zu einer fast kurzweiligen Lektüre macht. Eine so gut lesbare und unkonventionelle Einführung in die Diktaturforschung gab es bisher in deutscher Sprache nicht.
Marcel Dirsus: Wie Diktatoren stürzen und wie Demokraten siegen können.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025. 368 S.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.