Der Kaiser der Freude von Ocean Vuong, lang erwartet und jetzt 2025 endlich erschienen im Carl Hanser Verlag, ist ein schon vorab gehypter Roman, was einem Roman ja das Leben schwer machen kann doch hier: Keine Sorge. Dieser Roman wird den Lesenden das Herz zerreißen.
Vuong erzählt die Geschichte von dem jungen Hai und der alten Grazina, die eine schicksalhafte Nacht als Notgemeinschaft zusammenwürfelt. Und wer jetzt schreit, diese Idee ist doch uralt! Der hat Recht und das Geniale an Vuongs Buch ist, dass die Idee völlig nebensächlich ist. Dieses Buch strahlt durch die Tiefe, in der Vuong Beziehungen auslotet und Leben beschreibt.
Wir befinden uns in einem furchtbar öden amerikanischen Ort, wo genau, ist vollkommen egal, nicht egal ist, wie perfekt und atmosphärisch der Autor die Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit, das ewige Grau und den Beton, die Ballung von Diner und Imbiss in einer absoluten Tristesse beschreibt, sogar die Natur ist hier ständig nass und matschig. Und dennoch gelingt es Vuong, durchweg auch ein Gefühl von Lieben und Zugehörigkeit, von Heimat und merkwürdiger Geborgenheit einzufangen, so dass nicht umsonst irgendwann der Satz fällt: East Gladness ist der beste Ort der Welt.
Hai hat ein erstes Studium abgebrochen, weil er einen Freund verloren hat, seiner enttäuschten Mutter gaukelt er vor, nun zum Medizinstudium in Boston aufzubrechen, und als er sich zugedrogt auf einer Brücke befindet, die über einen Fluss geht und überlegt, allem ein Ende zu setzen, wird er von Grazina davon abgehalten und zieht bei ihr ein. Grazina ist alt, dement und voller wilder Gedanken und Erinnerungen. Allein können beide nicht weiter. Miteinander eigentlich auch nicht, wie soll der Blinde dem Tauben den Weg zeigen und andersherum, aber andererseits: Wenn zwei Experten des Chaos aufeinandertreffen, dann kann halt doch ein Schuh draus werden. Hai findet Arbeit in einem Schnellrestaurant, wo auch sein sehr spezieller Cousin Sony arbeitet (ja, wie die Firma) und natürlich auch noch eine große Handvoll weiterer gescheiterter Existenzen.
Wie sich diese Menschen in ihrem täglichen Versagen Halt geben, wie sie miteinander Dinge erleben, die vollkommen abwegig sind, wie sie eigentlich nie über Gefühle sprechen, weil sie die tief unten abgekapselt haben, aber beim Lesen so unendlich viel Gefühl erzeugen, wie Vuong zeigt, dass die wahren Außenseiter die Herrschenden, die Funktionierenden, die Reichen sind, die alle auch das Leben verlernt haben, es ist einfach unglaublich berührend. Getragen wird das alles von einer wahnsinnig schönen Sprache und einem subtilen, zärtlichen Humor, von einzigartigen Bildern und Gedanken. Vuong greift in seiner Erzählung Amerika perfekt, er spielt souverän auf der Klaviatur des Alltagsrassismus, macht transgenerationelles Trauma spürbar und zeigt, dass es Wunden gibt, die nie heilen werden, zeigt aber auch: Okay wird gemeinhin unterschätzt. In East Gladness ist das Glück vielleicht nur in Fragmenten zu finden. Dafür wohnt hier eine Ehrlichkeit, die selten ist.
Sag mir, was willst du anfangen / Mit deinem einzigen wilden und kostbaren Leben?, fragt Ocean Vuong in Der Kaiser der Freude. Ich empfehle auf jeden Fall als Teil der Antwort dieses Buch zu lesen. Und auf Brötchen im Matsch herumzuhüpfen. Und Karotten zu essen. Und vielleicht den ein oder anderen Traum anzugehen und dabei zu scheitern. Aber dabei die beste Schicksalsgemeinschaft der Welt zu finden. Ein großartiges Buch, das mich zutiefst berührt hat. Das braucht keinen Hype. Das ist einfach: Gladness.