Besprechung vom 04.08.2025
Wildes Wien
Krimis in Kürze: Dor & Federmann, Stieler und Wilson
Das können wir doch auch - diese Zuversicht hat schon manchen Autorinnen und Autoren nicht zu Ruhm verholfen, sondern sie direkt in die Blamage geführt. Bei Milo Dor und Reinhard Federmann liegt der Fall anders. Sie hatten um 1950 den Film "Der dritte Mann" von Carol Reed nach dem Drehbuch von Graham Greene gesehen und dessen erst danach erschienenen Roman gelesen. Weil sie im Wien der späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre lebten, kannten sie sich natürlich deutlich besser aus als die beiden Briten. So entstand "Internationale Zone" (Picus, 256 S., geb., 24,- Euro), der jetzt in einer Neuausgabe herauskommt.
Keine Zitherklänge, keine Kanalisation, auch kein Harry Lime begegnen uns hier. Ein Zigarettendealer mit rumänischen Wurzeln, ein verkrachter Tierarzt aus Bulgarien, Russen, Amerikaner, Menschen, die verzweifelt profitieren wollen von den neuen Verhältnissen, ohne zu wissen wie, bevölkern das wilde Nachkriegs-Wien, das in Zonen eingeteilt war und erst 1955 frei wurde von den Besatzungsmächten. Dor und Federmann nehmen Maß bei Greene, aber auch bei Chandler und Hammett, weil sie für ihre Bücher, die sie lieber veröffentlicht gesehen hätten, keine Verleger finden. Anstrengungslos zeigen sie ihr Gespür für Zeit, Milieu und die diversen Akteure. Und wenn sie auch nicht den Erfolg von Greene hatten - sie machen das so gut, dass man sich freute, brächte der Verlag die beiden anderen Wien-Kriminalromane der beiden auch noch einmal heraus.
Auf dem Roman von Jana Stieler klebt das Etikett "Psychothriller". Man fragt sich immer, wer so etwas und dazu noch den weitgehend sinnfreien Titelzusatz ausgeheckt hat - und geht lieber einfach darüber hinweg: "Brackwasser - Stille Wasser sind tief. Und manchmal sogar tödlich" (Limes, 368 S., br., 17,- Euro). Stieler, die bisher unter Pseudonym publiziert hat, versteht es in ihrem Krimidebüt sehr gut, durch klare und einfache erzähltechnische Mittel Spannung zu erzeugen. Die Abfolge verschiedener, miteinander eng verbundener Ich-Erzähler sorgt für ständige Irritationen, weil sich erst langsam lichtet, wem man glauben und wessen Sicht der Dinge man bezweifeln soll.
Schauplatz des Romans ist ein Dorf nicht weit von Schleswig, der Fluss Schlei spielt hier eine wichtige Rolle. Der Knochen eines Mädchens, das zwanzig Jahre zuvor spurlos verschwunden ist nach einem heftigen Streit mit der besten Freundin, wird gefunden. Der Onkel der besten Freundin hat sich erhängt, er steht nun unter Verdacht. Und diese beste Freundin namens Svea kehrt in den Ort und damit mitten in ihre Vergangenheit zurück. Ihre Schwester ist mit einem Prepper verheiratet, der seine beiden Kinder zur Überlebenstüchtigkeit erziehen möchte.
Jana Stieler hat diesen Plot an manchen Stellen leicht überkonstruiert, aber das lässt sich verkraften, weil die Ungewissheit, wer für was verantwortlich ist und wer wen schützen möchte, bis kurz vor Schluss anhält. Störend ist bloß die ziemlich altbackene Sprache, in der Begehren "aufwallt" und auch sonst manch ungelenke oder abgedroschen klingende Wendungen auffallen, die ein Lektorat leicht aus der Welt hätte schaffen können.
Auch ein gedankenloses Adjektiv kann weitreichende Folgen haben und einen Titel zum virtuellen Spoiler verkommen lassen. Das literarische Debüt der britischen Anwältin Alexandra Wilson heißt im Original "The Witness". Was völlig reicht. Warum im Deutschen daraus "Die feindliche Zeugin" (Suhrkamp, 367 S., br., 18,- Euro) werden musste, ist nicht nachzuvollziehen. Und es ist umso ärgerlicher, als dieser Roman ein versiert konstruierter Justizthriller ist.
Ein schwarzer Jugendlicher soll einen weißen Mann erstochen haben. Die recht unerfahrene schwarze Anwältin Rosa übernimmt den scheinbar aussichtslosen Fall. Die Eigenheit des britischen Justizsystems, das eine klare Arbeitsteilung zwischen dem Solicitor, dem Advokaten, und dem Barrister, dem Prozessanwalt, vorsieht, schafft eine besondere Spannung, weil Rosa ständig diese Grenzen überschreiten muss, wenn sie die Unschuld ihres Mandanten nachweisen will, der zudem nicht sonderlich kooperativ ist. Also ignorieren Sie einfach den deutschen Titel und lesen den Roman, der es nur auf den letzten zwei, drei Seiten etwas zu gut meint. PETER KÖRTE
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