Besprechung vom 04.09.2025
Was macht das Cleverle in der Kifferkolonie?
Michael Sommer und Stefan von der Lahr geben ihre Version einer barrierefreien Antike
Die antike Welt scheint in den USA überaus präsent zu sein, wenn man den Kulturkampf betrachtet, der dort auch um sie tobt. Von rechts werden männliche Stärke und republikanische Tugend beschworen, die Gegenseite übt sich in postkolonialen Exerzitien und viktimologischer Entrüstung, weswegen die akademische Disziplin der "Classics" gleich ganz abzuschaffen oder das Altertum ohne Tiefenbohrung in eine weiträumige Kunde von frühen historischen Formationen zu amalgamieren sei. Hierzulande haben derlei Vereinnahmungen bisher wenig Resonanz gefunden. Michael Sommer und Stefan von der Lahr - renommierter Althistoriker der eine, lange Jahre Verlagslektor mit Schwerpunkt Altertum der andere - wissen zweifellos, warum das so ist: Viel gefährlicher als die ideologische Indienstnahme ist der kulturelle Gedächtnisverlust, erwachsen aus dem schlichten Schwinden von Interesse, Bemühen, Kenntnis. Beide kämpfen seit Jahrzehnten gegen diesen Trend an, dieser als (kürzlich pensionierter) Lektor mit dem Schwerpunkt Altertum im Verlag C.H. Beck, jener, ein Forscher von Graden, als Verfasser sachkundiger und origineller Bücher vor allem zum antiken Rom.
Wie aber lässt sich die Geschichte der alten Griechen und Römer nachwachsenden Jahrgängen noch nahebringen? Sommer und von der Lahr bleiben Autoren; sie legen einen zusammenhängenden Text in Buchform vor, gehen also nicht den Schritt zu Tiktok-Schnipseln, Podcasts oder einem (längst antiquierten) Youtube-Kanal. Ihre Strategie der Barrierefreiheit ist sowohl sprachlicher wie inhaltlicher Natur. Die inhaltliche Leitlinie nennt der Buchtitel: Wertvolles oder zumindest durch Anderssein zum Nachdenken Anregendes hat diese Antike demnach nicht zu bieten. Der griechische Mythos? Ein Kosmos von Schlagetots und Vergewaltigern. Die Demokratie in Athen? Eine Bürgerschaft von kriegslüsternen, blutrünstigen, dazu leicht populistisch verführbaren Egoisten, mitunter aber auch "woke" (beim Hermenfrevel). Alexander? Ein ruhm- und eroberungssüchtiger Massenmörder, ebenso Caesar, wie fast alle mächtigen Römer vor und nach ihm - zumal bei den Römern das Eroberungsgen generell besonders ausgeprägt gewesen sei. Wer ein Florilegium erlesener Tötungsarten in der "Ilias" sucht, wird hier gleich zu Beginn fündig.
Der andere Basso continuo lautet: So schlimm wie heute war es früher auch schon. Das beginnt mit den Aristokraten im Athen vor Solon, die sich auf Kosten der Ärmeren bereichern - "Merke: Allzu viel hat sich seit damals nicht geändert!" - und endet nicht mit den römischen Kaisern des dritten Jahrhunderts n. Chr., die immer mehr Münzen mit immer weniger Silbergehalt prägen ließen: Enteignung der Bürger durch Aufblähung der Geldmenge sei keine moderne Erfindung. Überzeitlich aktuell hingegen Antigone mit ihrem Bekenntnis zur Gewissensfreiheit, "gerade wenn politisches Gesindel weltweit versucht, die Tyrannis wieder salonfähig zu machen". Nicht der einzige Zaunpfahlwink auf Donald Trump. Und der jüngere Cato trat als Stoiker "für eine wertgeleitete Außenpolitik ein".
Auf der sprachlichen Ebene pflegen die Autoren - in unterschiedlichem Ausmaß, von der Lahr im griechischen Teil weit mehr als Sommer im römischen - flapsige Formulierungen, die wohl Distanz verringern sollen. Das ist mal recht witzig (die Perser rächten nicht einfach ein zerstörtes Heiligtum, sie betätigten sich "als spirituelle Tatortreiniger"), mal vulgär, bisweilen beides im selben Satz: "Die Nymphe war emotional eher kleinteilig und meinte: 'Verreck, du Aas!'" Die Register sind dabei verschieden: die "Ilias" ein Megaerfolg, Odysseus das Cleverle auf Ithaka, das um ihn kreisende Epos ein Pageturner, die Lotophagen eine Kifferkolonie, und nachdem Polyphem zwei Männer verspeist hat, lautet der Kommentar: "Das hätte man jetzt auch nicht erwartet von so 'nem Öko - von wegen Veggie-Day und so ...".
Doch was sprachlich als schmissig gilt, wandelt sich bekanntlich rasch, und so bietet der Text ein Repertoire aus Ungleichzeitigkeiten. "Da guckten die Griechen ganz schön kariert aus der Wäsche" gehört zu einer älteren Schicht als der "Doppel-Griechen-Wopper" des hungrigen Kyklopen. Wenig später guckt Odysseus wie der Terminator und sagt "so etwas wie 'Hasta la vista, Baby'." Die "Jeunesse dorée" hingegen dürfte heute selbst Gymnasiasten ungeläufig sein, ebenso "seinen Blutzoll entrichten" oder das ungetreue Gesinde im Haus des Odysseus. Der griechische Tyrann wird konturiert durch das Bild eines Power-Grillers mit extra großen T-Bone-Steaks auf dem High-End-Rost. Hin und wieder alliteriert es auch ("Bremsen Sie mal einen Beamten im Blutrausch."); es wird gecheckt und mit Geld zugeschissen, es tummeln sich Blagen und Helikopter-Eltern aus München-Bogenhausen; es "sannen die Athener auf Rache", es gab "einen frühpensionierten Profi-Tyrannen", und Sparta war eine Kombination aus viel Panzer und wenig Hirn, "seit den Tagen der Dinosaurier kein wirkliches Erfolgsmodell". Mitunter wird auch gereimt, so auf einen Eunuchen am Hof der Achämeniden: "Drei-drei-sieb'n - der Hodenlose / stößt's Perserreich ins Bodenlose". Und es soll wohl Kanak Sprak imitieren, wenn Achilleus Alexander ins Ohr flüstert: "Bruda, machssu mit Schwert, hassu mehr Grip!"
Wie hilfreich die offen formulierte Feindseligkeit gegenüber den Athenern und ihrer Demokratie für welches Anliegen ist, muss hier unerörtert bleiben. Jeder möge für sich entscheiden, ob es überhaupt noch nötig und sinnvoll ist, "dem Pathos, mit dem die Geschichte der Griechen und Römer versehen wurde, ein wenig die Luft herauszulassen", wie im Vorwort angekündigt wird. Die Probleme liegen, wie eingangs dieser Besprechung angedeutet, ganz woanders, der hier so lustvoll zelebrierte Ikonoklasmus kommt Jahrzehnte zu spät. Und wer nach der Lektüre den Band zuklappt wie einst Gottfried Benn den Ploetz mit dem Eindruck, das Ganze sei "zweifellos die Krankengeschichte von Irren" und es gebe ohnehin nichts Neues unter der Sonne, der wird sich vielleicht mit dem Leiden an der Gegenwart begnügen und so schnell nicht wieder ein seriöses historisches Buch aufschlagen, und schon gar keines zur Antike. Waren die Effekte das wert? Ach, wäre doch die abends beim Italiener gefasste Idee zu diesem Versuch Idee geblieben! UWE WALTER
Michael Sommer, Stefan von der Lahr: "Die verdammt blutige Geschichte der Antike". Ohne den ganzen langweiligen Kram.
C. H. Beck Verlag, München 2025.
364 S., Abb., geb.
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