Intensive und kraftvolle Literatur!
Ich gebe gerne zu, dass mein Interesse an diesem Roman als erstes durch das wunderschöne Cover geweckt wurde und erst danach durch die Kurzbeschreibung.Aber was mich hinter dem fein ziseliert gemusterten Cover erwartete, überraschte und traf mich sehr.Die Dichterin, Essayistin und Wissenschaftlerin zeigt mir in ihrem ersten Roman eine mir unbekannte Welt, deren misogyne Mechanismen mir gar nicht so unbekannt sind.Dschabbarowa wurde in Russland in einer aserbaidschanischen Familie geboren und wuchs dort in der streng konservativen aserbaidswchanischen Community auf, die dort in der Diaspora lebt.In dieser Community lebt auch die Ich-Erzählerin des Romans und sie beschreibt eine massive patriarchale Kultur, in der Frauen nur als Objekt existieren und deren Rechte stark eingeschränkt sind.Die Lebensbereiche der Geschlechter sind streng voneinander getrennt und umfassen bei den Frauen nur soviel, wie ihnen von ihren Männern und Vätern zugestanden wird. Wenn eine Frau eines der geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetze bricht, wird sie geschlagen. "Taten wir etwas, das Vater missfiel, bedeutete es unweigerlich, dass auch Mutter bestraft wurde, weil sie schlechte Töchter herangezogen hatte.¿Der weibliche Körper und damit auch der Körper der Erzählerin steht ganz im Zentrum des Romans. Entlang der einzelnen Körperteile erzählt Dschabbarowa wie stark der Körper, das Leben und das Denken einer Frau dem Willen von Männern unterworfen sind."Es war nicht leicht, sich einzugestehen, dass sie nie über ihre Körper verfügen konnten, dass sie nie aufgehört hatten, Objekte fremder Begierde, gesellschaftlichen Drucks und männlicher Macht zu sein.¿Und doch ist es auch der Körper der Erzählerin, der sich den Unterdrückungsmechanismen verweigert und entzieht. Er wird krank, zerstört sich selbst und kann die an ihn gestellten Erwartungen von Heirat, Kinder und Fortpflanzung nicht mehr erfüllen. "Der alte Körper wurde von der Krankheit zerstört, das konnte ich jede Sekunde, jede Minute jeden Tages fühlen.¿Eine Befreiung, die ihr den Schmerz und die Unfreiheit einer Ehe erspart, aber gleichzeitig Schmerz und Unfreiheit mit sich bringt."Mein Körper hatte mich von der Erfüllung dieser Pflicht befreit, aber er war nicht frei vom Schmerz.¿Mich begeistert sehr, in welcher poetischen und lakonisch-verletzlichen Sprache der Roman verfasst ist und wie wenig Dschabbarowa davor zurückschreckt, die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung von Frauen zu benennen und anzuprangern."Was heißt es in unserer Familie, eine Frau zu sein? Bin ich keine Frau mehr, wenn ich mich gegen die Rolle der Mutter und Ehefrau entscheide, bin ich kein Teil der Kultur, Geschichte, Diaspora mehr, wenn sich Teile meines Körpers an ihre Herkunft erinnern? Ist es denn zwingend notwendig, sich fortzupflanzen, um eine Herkunft zu haben?¿Der Roman ist kurz (138 Seiten) und doch gehaltvoll und intensiv und war für mich ein ziemliches starkes und kraftvolles Stück Literatur!