Ich mag authentische Autobiografien von Menschen, die mit großer Selbstreflexion Einblick in ihr Leben gewähren. Jacinda Ardern, die ehemalige neuseeländische Premierministerin, ist eine solche Persönlichkeit. Selbst enge Angehörige sagten über sie, sie sei zu sensibel, zu dünnhäutig für eine politische Laufbahn. Dennoch wurde sie mit 37 Jahren die jüngste weibliche Regierungschefin der Welt; war die zweite Frau überhaupt, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekam. Hinzu kamen zahlreiche extreme Herausforderungen während ihrer Amtszeit: dem Terroranschlag von Christchurch, ein Vulkanausbruch, der Pandemie. Dazu die Hetze, die ihr insbesondere als junge Frau in der Politik entgegenschlug.Beim Lesen wechselte ich zwischen der deutschen Printausgabe und dem englischen Hörbuch, das von Ardern selbst gelesen wird - ein gelungener Mix. Das Hörbuch ist hervorragend eingelesen und Arderns persönliche, lockere Erzählweise wirkt auch in der Übersetzung nie steif, sondern flüssig und authentisch. Die Fotos im Buch unterstreichen diese persönliche Note.Von Anfang an fiel mir ihre außergewöhnliche Beobachtungsgabe auf. Schon die Schilderung ihrer Kindheit zeigt, wie feinfühlig sie wahrnimmt: die Menschen um sie herum, ihre Probleme, ihre Emotionen in ihrer ganzen Vielfalt. Mit zunehmendem Alter hat sie diese Fähigkeit zu einem ihrer stärksten Sills weiterentwickelt. Gleichzeitig ist sie ehrlich genug, zuzugeben, dass es in der Politik selten einfache Lösungen gibt. Diese Kombination aus Beobachtungsgabe und Ehrlichkeit - sollte das nicht eine Grundeigenschaft aller Politiker:innen sein? Zu oft habe ich das Gefühl, dass die Mächtigen (Männer) wenig Interesse an den Menschen zeigen, die sie vertreten.Interessant fand ich auch den Einblick in ihre religiöse Prägung als Mormonin und ihre Emanzipation davon. Ihre persönlichen Erfahrungen mit den politischen Herausforderungen, die sie international ins Rampenlicht rückten - etwa ihre empathische und dennoch konsequente Reaktion, inklusive einer sofortigen Verschärfung des Waffenrechts nach dem Terroranschlag auf die muslimische Gemeinschaft - sind eindrücklich beschrieben.Jacinda Ardern ist noch so jung; ich bin gespannt, was sie noch vor sich hat. Ihre Memoiren sind sehr zu empfehlen.