
Wer die Erde retten will, muss den Boden heilen
Die Erde ist geradezu ein Wunderwerk, überzogen von einer Schicht aus organischem Material, Mineralien und Mikroorganismen sowie Luft und Wasser, die allem terrestrischen Leben zugrunde liegt. Im Boden leben Myriaden von Bakterien, Pilzen und kleinen Tieren, die ihn aufbauen und fruchtbar machen. Doch deren Wert scheint uns nicht bewusst: Wir beuten den Boden rücksichtslos aus und bedrohen jenes Ökosystem, das die Welt am Laufen hält. Die industrielle Landwirtschaft und die fortschreitende Entwaldung haben mehr als ein Drittel aller Böden bereits empfindlich verletzt oder sogar zerstört. Die Krume stirbt ab, verliert den Halt, wird abgetragen durch Wolkenbrüche und Winde, die durch den Klimawandel häufiger werden. Die Biologen Jörg Blech und Prof. Matthias Rillig beschreiben erstmals, warum wir nur überleben werden, wenn wir die geheimnisvollen Bewohner im Boden erhalten. Sie präsentieren neue Befunde aus der Wissenschaft sowie exklusive Erkenntnisse, die Rillig als Forschender selbst gewonnen hat. Alles mündet in die lebensentscheidende Frage: Können wir die Erde wieder in einen gesunden Zustand versetzen?
Besprechung vom 14.11.2025
Tot ist bald, die uns erzog, tot und dürftig, wie ein Stoppelfeld
Die Biologen Jörg Blech und Matthias Rillig warnen vor Flächenversiegelung und Überdüngung, die den komplexen Lebensraum Boden gefährden
Der Boden ist von allen Lebensräumen wohl derjenige, der am wenigsten ästhetische und emotionale Wertschätzung erfährt. Anders als Wald, Meer, Gebirge oder Wüste eignet er sich nicht für eingespielte emphatische Naturerfahrungen. Böden sind aber ungemein komplexe Lebensräume, die erstaunliche biologische Vielfalt beherbergen; sie speichern Wasser und Kohlenstoff, sie regeln die natürlichen Kreisläufe von organischen und mineralischen Stoffen, und sie sichern die Ernährung der Menschheit.
Allerdings sind sechzig bis siebzig Prozent der Böden in der Europäischen Union in einem schlechten Zustand, und dieser Zustand wird sich wohl weiter verschlechtern, wenn keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen werden. Der Verlust organischen Bodenkohlenstoffs, Überdüngung, Versäuerung, Versalzung, Verschmutzung, Erosion und Bodenverdichtung - dies sind die wichtigsten Mechanismen dieser Verschlechterung der Bodenqualität und -gesundheit.
Der Biologe und Journalist Jörg Blech und der an der Freien Universität Berlin lehrende Pflanzen- und Bodenökologe Matthias Rillig zeigen in ihrem Buch, wie kompliziert die in Jahrtausenden gewachsene physikalische und biologische Struktur des Bodens ist, was neueste Forschungsergebnisse zur Rolle von Böden sagen und warum es so wichtig ist, eine rücksichtslose Ausbeutung des Bodens zu vermeiden.
Die beiden Autoren geben zuerst eine anschauliche Beschreibung der strukturellen und biologischen Komplexität des Bodens. Weil das Bodengefüge ungemein kleinteilig strukturiert ist, liegen auf kleinstem Raum verschiedene Welten zusammen, in denen völlig unterschiedliche Bedingungen herrschen. Daher bietet der Boden Lebensraum für zahllose Arten von Bakterien, Protisten, Pilzen, Springschwänzen, Milben, Würmern, Gliedertieren, Mollusken und auch Säugetieren. Neue Studien zeigen, dass von den Arten innerhalb dieser Organismengruppen der Großteil im Boden lebt. Eine neue Schätzung kommt gar zu dem Ergebnis, dass 59 Prozent aller Arten insgesamt im Boden leben.
Die darauffolgenden Kapitel des Buchs widmen sich Pilzen, Regenwürmern, dem Boden als Reservoir für nützliche Mikroorganismen, Böden als Kohlenstoffspeicher und verschiedenen Formen der Bodenverschmutzung und -degradierung. Die beiden Autoren widmen viel Aufmerksamkeit dem Zusammenwirken schädlicher Faktoren auf die Bodengesundheit, deren Zahl menschliche Eingriffe stark vergrößert haben. Einen Hoffnungsschimmer sehen die Autoren darin, dass das mittlerweile erreichte Wissen um diese Prozesse zu einer besseren Regulierung von Schadstoffen führen und darüber hinaus helfen kann, eine gezieltere Sanierung geschädigter Böden durchzuführen.
Es wird zwar kaum jemand bestreiten, dass der Boden geschützt werden muss. Aber in Anbetracht der zahlreichen legitimen, doch einander entgegenstehenden Ansprüche, die an den Boden gestellt werden, stellt sich die Frage, ob und wie Ernährungssicherheit, Klima- und Naturschutz und der Bau von Wohnungen und Gewerbegebieten miteinander in Einklang gebracht werden können. Am deutlichsten werden diese Konflikte in der Landwirtschaft sichtbar. So kommen in der Europäischen Union 95 Prozent der Nahrungsmittel aus dem Boden, aber durch mechanische Bearbeitung, Düngung oder Pestizideinsatz wird langfristig diese Grundlage in Mitleidenschaft gezogen werden.
Das abschließende Kapitel des Buchs lautet zwar "Ausweg aus einer bodenlosen Zukunft", doch geben die Autoren nur wenige konkrete Empfehlungen für politische Maßnahmen ab. Dies mag man als Eingeständnis lesen, dass es für die Zielkonflikte um die Bodennutzung keine einfachen Lösungen geben kann. Die Perspektive des Buches ist nun einmal fast ausschließlich naturwissenschaftlich, und die Autoren gehen nur selten auf politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein. Sie deuten an, dass der einzige Weg, sowohl zukünftige Erträge als auch die Bodengesundheit zu sichern, ein nachhaltigerer landwirtschaftlicher Anbau ist - was nicht notwendigerweise Biolandbau bedeuten muss. Züchtungsfortschritt, digital gestützte Erfassung der Bodenqualität und -gesundheit und Präzisionsmethoden beim Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln, zusammen mit bodenschonenden agrarökologischen Praktiken können die negativen Folgen der Landwirtschaft mindern - wenn auch nicht völlig verhindern.
Blech und Rillig bieten einen gut lesbaren, lehrreichen und am neuesten Stand der Wissenschaft orientierten Einblick in einen außerordentlich faszinierenden Lebensraum, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Auch wenn die politischen Herausforderungen, welche die Zukunft des Bodens bereithält, ungemein schwierig sind, müssen Lösungen so weit wie möglich wissenschaftsbasiert sein - das Buch bietet dazu eine hervorragende Einführung. THOMAS WEBER
Jörg Blech und Matthias Rillig: "Mutter Erde". Wie der Verlust des Bodens unseren Planeten bedroht.
Ullstein Verlag,
Berlin 2025.
384 S., geb.
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