André Hülsbömer hat mit seinem Werk Winterling einen Heimatroman der besonderen Art geschaffen, der weit über die typischen Klischees des Genres hinausgeht. Als Besitzer und Betreiber des Auenlandhofs in Dauernheim, einem historischen Bauernhof, der heute Biergarten, Hofcafé, Seminarhof sowie Hotel ist, begibt sich Hülsbömer auf eine historische Spurensuche und eröffnet dem / der Leser*in ein eindrucksvolles Bild des Bauernlebens aus finsteren Zeiten genauer gesagt des 17. Jahrhunderts - einer Zeit, die von Hunger, Not, Krieg, Seuchen und sozialen Konflikten geprägt war.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Bauer Johannis Edler. Die Geschichte setzt ein, als der Ortsvorsteher Dieffenbach ihm eröffnet, dass der Landgraf Wilhelm-Christoph von Bingenheim die Abgaben für die Bauern drastisch erhöht. Edler ist verzweifelt, denn er weiß nicht, wie er und das Dorf das Geforderte aufbringen soll.
Hülsbömer schildert Edler als redlichen, grundsympathischen Menschen, der gleichwohl nicht glattgebügelt ist, sondern Ecken und Kanten besitzt. Er ist klug und weitsichtig und hat stets das Wohl der Dorfgemeinschaft vor Augen. Sein Kampf gegen korrupte Ortsvorsteher, geldgierige Landgrafen, die Unvernunft seiner Mitmenschen und last not least auch gegen missliche Wetterbedingungen machen ihn zu einem Charakter, den der / die Leser*in so schnell nicht vergisst. Auch die Nebenfiguren sind hervorragend ausgearbeitet: Das betrifft vor allem den Ortsvorsteher Dieffenbach sowie den Landgrafen Wilhelm-Christoph von Bingenheim, denen Hülsbömer sogar einige urkomische Seiten abzugewinnen weiß.
Ein herausragendes Merkmal von Winterling ist die umfassende historische Recherche, die Hülsbömer betrieben hat. Er vermittelt nicht nur wichtige Informationen über die politischen Verhältnisse des Landkreises im 17. Jahrhundert, sondern auch über viele alltägliche Aspekte des Bauernlebens. So erfährt der Leser / die Leser*in eine Menge Interessantes über die Bedeutung des Brunnenbaus, die Techniken des Färberwesens und die Kunst der Obstbaumveredelung. Diese Details machen das Buch zu einer fesselnden Lektüre und die damalige Welt für den heutigen Leser erlebbar. Hülsbömer gelingt es, die Lebensbedingungen klar und eindrücklich darzustellen, sodass der Leser / die Leserin in die raue Realität des Bauernlebens hineingezogen wird, einschließlich der Herausforderungen durch Wind und Wetter, der harten Arbeit und den Abhängigkeiten von den Launen der Herrschenden.
Diese wird besonders deutlich in der Schilderung einer Jagdgesellschaft einem der Highlights innerhalb des Buchs. Hülsbömer gelingt es eindrucksvoll, die damit verbundenen Absurditäten und Zumutungen für die Bevölkerung zu schildern ich habe noch nie etwas Derartiges gelesen.
Ergänzt wird das Werk durch eine historische Karte Dauernheims sowie einen Anhang mit historischen Hintergrundinformationen und einem Register vergessener oder ungebräuchlicher Wörter, das auch eine ganze Reihe witziger Schimpfworte umfasst. Ich vermute, dass es Hülsbömer viel Spaß gemacht hat, Wörter wie Dappschoof, Nieselpriem oder aal Rumplmuck zusammenzutragen und diese dann innerhalb des Buchs in witzige Szenen einzubinden.
Winterling ist ein herausragendes Werk, das historische Fakten mit einer packenden Erzählung und eindrucksvollen Charakteren verbindet. Das Besondere daran ist, das sich Hülsbömer auf Spurensuche vor der eigenen Haustür begeben hat. Wenn ich heute durch Dauernheim oder Ortschaften wie Echzell, Bingenheim oder Ortenberg fahre ich habe aus privaten Gründen öfter dort zu tun sehe ich diese Orte mit ganz anderen Augen. Winterling und seine Charaktere verleihen den vertrauten Bildern neue Tiefe, jede Straße und jedes Gebäude erinnert an die Erzählungen, die Hülsbömer mit viel Liebe zum Detail und historischer Kenntnis ausgearbeitet hat. Diese Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart lässt mich die lokale Geschichte im Kleinen wie im Großen auf eine ganz neue Art erleben.