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Besprechung vom 17.01.2019
Wandertage, Wanderjahre
Wenn ein Professor für mittelalterliche Geschichte, der so lange Zeit Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom war, dass man ihn getrost zum Deutsch-Römer adeln darf, ein Buch über Italien schreibt, dann schlägt sich das auch im Ton nieder. Hier doziert kein Wissenschaftler spröde Fakten, vielmehr lädt ein umfassend gelehrter Flaneur ein zu einundzwanzig Streifzügen durch Geschichte und Gegenwart, durch Raum und Zeit, durch die Veränderung des Sehens von Landschaft. Ein Spurensucher, ein Fährtenleser lässt uns teilhaben an seinen Exkursionen ins Verborgene. Seine Auswahl ist subjektiv, greift einzelne Gegenden und Orte heraus. Im Zentrum steht für ihn das unmittelbare Erlebnis, die Wanderung durch die Landschaft, die Begegnung mit Menschen. Zugleich taucht er in die Geschichte ein, legt Schicht um Schicht frei, befragt Landschaften und Städte nach ihrem Lebenslauf. Damit gewinnt auch das scheinbar Unscheinbare des gegenwärtigen Zustands Bedeutung. Man versteht, wie und warum etwas so und nicht anders geworden ist. Das macht den großen Reiz des Buches und seine Unmittelbarkeit aus. Am Bild der Gegenwart erfährt man Geschichte, die aber wiederum dem Selbstverständnis der Gegenwart dient. Indem der Autor den Leser mit einer präzisen Schilderung wie bei einer Bildbeschreibung in die Szenerie hineinzieht, ermöglicht er ihm, sich gleichsam darin selbständig zu bewegen. Dabei erinnert nicht nur die hohe Sprachkunst bildlicher Beschreibung an einen Klassiker der Italienliteratur aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Die "Wanderjahre in Italien" von Ferdinand Gregorovius muss man als Maßstab und Hintergrund für das Buch sehen. Es ist ohne das Vorbild nicht zu denken. Ihm widmet der Autor eigens ein Kapitel. Beide Publikationen gingen aus einer Reihe zunächst unabhängiger Aufsätze hervor. Beide sind trotz eines Entstehungszeitraums von mehr als zwei Jahrzehnten im Konzept durchaus einheitlich. Beide sind nicht als Reiseführer gedacht, vielmehr als Versuch, Natur, Geschichte und Gegenwart in ihrem Zusammenhang zu sehen. Trotzdem geben beide Autoren auch praktische Winke für die Reise: Erwähnt der Ältere Postkutschen und das neue Transportmittel Eisenbahn, notiert der Jüngere exakte GPS-Koordinaten und markante Orientierungspunkte. Der Deutsch-Römer Gregorovius nannte sein Werk ein "Produkt innerer Leidenschaft". Das gilt auch für dieses glänzend geschriebene Buch.
rmb
"Historische Landschaften Italiens. Wanderungen zwischen Venedig und Syrakus" von Arnold Esch. Verlag C.H. Beck, München 2018. 368 Seiten, 60 Abbildungen. Gebunden
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