
»Dieses Buch leuchtet die Beziehung zwischen Landschaften und Leben mit großer gedanklicher Spannkraft aus. Was für eine sprachliche Schönheit in einer Welt, die vergessen hat, dass wir nicht gemacht, sondern geboren sind! «
- Marica Bodrozic
»Bernhard Malkmus ist ein besonderer Schriftsteller: ein scharfsichtiger Beobachter der Natur, ein feinsinniger Umweltethiker und ein herausragender Sprachstilist. «
- Robert Macfarlane
Der englische Nordosten ist eine Landschaft, an der sich die systemische Veränderung der Biosphäre durch 250 Jahre technischer und sozialer Revolutionen ablesen lässt: Hier wurden bis vor kurzem die reichsten Kohlevorkommen Großbritanniens abgebaut, hier lagen um 1900 die größten Werften der Welt, hier verändern immer noch riesige Chemieagglomerate den Stoffwechsel der Erde. Umsäumt von der geheimnisvollen Nordseeküste im Osten und düsteren Heidegebirgen im Westen ist dieses englisch-schottische Grenzland, um das schon römische Truppen, irische Missionare, Wikinger, berüchtigte Grenzräuberbanden gekämpft haben, auch ein wichtiges Brutgebiet für zahlreiche Vogelarten. Die »Himmelsstriche« der Seevögel - so bezeichnet Bernhard Malkmus sowohl die Gegenden, in denen diese Flugkünstler zuhause sind, als auch die Kalligrafien, die sie in die Lüfte zeichnen. Doch seit einiger Zeit wütet in diesem Vogelparadies das Grippevirus, das in der industriellen Tierhaltung hochgezüchtet und von Zugvögeln auf der ganzen Welt verbreitet wurde. Als Malkmus auf seinen Streifzügen immer mehr Kadaver findet, beginnt er, den Tieren ein literarisches Denkmal zu setzen.
Himmelsstriche ist die reizvolle Verbindung von Reisetagebuch und Essay, in der Natur- und Kulturgeschichte verwoben werden: Ein Gesang auf das Meer, eine Hymne auf die Anmut und Widerstandskraft der Seevögel, eine Meditation über Heimat und Migration, eine Suche nach Worten der Trauer angesichts der Artenausrottung um uns.
Finalist des W. G. Sebald-Literaturpreises.
Besprechung vom 29.08.2025
Das Berliner Blau des Eichelhähers
Da gehört eigentlich ein Regenwald hin: Bernhard Malkmus streift über die kahlen Hügel in Englands Norden und schwelgt in Beschwörungen von Farben.
Farbnuancen haben es dem Germanisten Bernhard Malkmus angetan. Fast jede Seite seines Buchs "Himmelsstriche", das vor allem von den Seevögeln Nordenglands und Schottlands handelt, bietet eigenwillige verbale Kolorierungen. Da gibt es etwa den Jungvogel der Zwergseeschwalbe, "dessen butterblumengelbem Gefieder grüngräuliches Dottergelb beigemischt ist", und das "schneeweiße Leben" der Rosenseeschwalbe, in deren "Brustgefieder sich irgendwo ein Pfirsichblütenrot verbergen muss".
Die Inspiration für diese erzählerische Farbenbeschwörung bezieht Malkmus aus einer 1814 erschienen, auf den deutschen Geologen Abraham Werner zurückgehenden Nomenklatur, die der schottische Maler Patrick Syme mit Beispielen aus der Natur angereichert hat. Bei jeder Farbe steht, an welchem Vogel, welcher Pflanze und welchem Mineral man sie sehen kann. Berliner Blau findet sich zum Beispiel in den Schwingenfedern des Eichelhähers, in Leberblümchen und blauen Saphiren, Wachsgelb an den Larven eines Wasserkäfers, den grünlichen Teilen der Schalen der Apfelsorte Nonpareil und Halbopalen.
Malkmus übt sich in der Kunst des genauen Hinsehens und übt sich darin bei zahlreichen Wanderungen und Spaziergängen, von denen er tagebuchartig erzählt: "Die Farbe des Aragonits glänzt an diesem Abend über Coquet Island, es ist der violettweiße Farbton, den Syme auch in der Blüte des Storchschnabels und an der 'Stelle zwischen Hals und Rücken der Dreizehenmöwe' aufschimmern sieht."
Doch "Himmelsstriche" will mehr bieten als eine ökologisch inspirierte Farbenlehre: Tief verankert im Nature Writing, verwebt der Autor, Professor für Germanistik und Environmental Humanities an der Universität Oxford, seine Beschreibungen von Landschaften und Seevögeln mit einer Überfülle von Referenzen aus Kunst und Literatur - und mit Wehklagen über das "Sterben der Natur im Anthropozän". Vogelgrippe, Klimawandel und die zum Beispiel in Form von Mikroplastik allgegenwärtigen Folgen eines gut geölten Kapitalismus verdichtet der Autor zu einer pandämonischen Kulisse, vor der die windumtosten Küstenlandschaften und ihre Bewohner umso schöner, aber auch fragiler wirken.
Seine Stärken hat das Buch dort, wo Malkmus sich mit seinen Beschreibungen ganz auf die Landschaft, auch auf die Geologie des britischen Nordens, und ihre Bewohner einlässt. Ebenfalls zu den Stärken des Buchs zählt, dass der Autor hinter die Fassade inszenierter Natur blickt und etwa dem in England weitverbreiteten Lob für die "Ursprünglichkeit" von grünen Hügeln und leeren Heidelandschaften, in denen Jäger dem Moorhuhn nachstellen können, nicht auf den Leim geht: Wenn Werbetexter für die North Pennines den Slogan "The last wilderness of England" benutzten, werde die Realität wirkungsvoll ausgeblendet: "Die Touristen sollen die leeren Weiten als ursprünglich und naturgegeben empfinden, dabei sind sie doch das Ergebnis einer gezielten Entleerung durch die Landbesitzer."
Ob für die Jagd oder für die Schafwirtschaft - die kahlen Hügel Großbritanniens sind Folgen übermäßiger Nutzung, und Malkmus lässt kein gutes Haar daran. In weiten Teilen des Landes gehöre dort eigentlich der ursprüngliche kaledonische Regenwald hin. Die alten, an kalte Temperaturen angepassten Regenwälder, von denen es nur noch Reste gibt, haben britische Naturschützer wiederentdeckt und wollen ihnen neues Leben einhauchen.
Überraschend provokant wird Malkmus, wenn er das allgemeine Entsetzen über den mutwillig gefällten Bergahorn am Hadrianswall nicht vollumfänglich teilt. Der Baum, der dort für zahllose Fotos von Touristen als einsames Accessoire diente, hätte schließlich von natürlicher Vegetation umringt sein müssen, von einem Hain inmitten der überweideten Hügel. Und er schlägt gleich vor, entlang des ganzen Hadrianswalls als grünes Band einen Wald sprießen zu lassen.
An einigen Stellen trägt Malkmus freilich stilistisch zu dick auf, tunkt die Natur in zu viel Pathos, und des Hinweises, dass "jedes Wunder des Lebens in uns die Weisheit des Staunens hervorbringen könnte", hätte es nicht bedurft. Am besten wirkt Nature Writing dann, wenn es solcher Appelle gar nicht bedarf, weil die Erzählung aus eigener Kraft den gewünschten Effekt erbringt. Verstärkt wird die Ablenkung von gelungener Landschafts- und Naturbeschreibung auch dadurch, dass Malkmus es mit den literarischen und künstlerischen Referenzen samt Namedropping übertreibt. Es wäre besser gewesen, wenn der Autor seinen Wissensfundus destilliert und in seine Schilderungen hätte einfließen lassen.
Bei aller Präzision in der Ornithologie hat das Buch an wenigen Stellen auch Schwächen bei der allgemeinen Naturwissenschaft. Wenn Malkmus schreibt, "Wir wissen, dass sich unser Auge anatomisch aus der Blase der Fische geformt hat" und "Wir wissen, dass jedes H2O-Molekül, das wir trinken, irgendwann einmal durch die Blase eines Dinosauriers gespült worden ist", dann stimmt das einfach nicht. Farbenreicher jedoch ist die Welt nach der Lektüre dieser "Himmelsstriche" allemal. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Bernhard Malkmus: "Himmelsstriche". Vom Leben der Vögel und Überleben der Menschen.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2025.
246 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Himmelsstriche" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.