Der kurze Debütroman Badjens von Delphine Minoui versetzt uns vom ersten Moment an mitten ins Leben der 16jährigen Zahra, von ihrer Mutter liebevoll Badjens genannt. Wörtlich übersetzt bedeutet das nicht akzeptabel, aber im Alltagspersischen steh es auch für schelmisch oder aufmüpfig. Was meiner Meinung nach sehr gut zu dieser Romanheldin passt.
Iran im Herbst 2022, hier beginnt der Roman, mitten in den Aufständen der Frauen, die sich nicht länger unters Kopftuch zwingen lassen wollen. Frau, Leben, Freiheit ruft auch Zahra auf der Demonstration, wo sie in aller Öffentlichkeit ihr Kopftuch verbrennt.
In Rückblenden erfahren wir von Zahras bisherigem Leben. Als Mädchen war sie nicht erwünscht, nur ihre Mutter liebt sie von Herzen. Ihr Großvater hätte sie am liebsten abteiben lassen. Ihr Vater ist sehr konservativ und streng. Ihr jüngerer Bruder hat viele Freiheiten, wird behandelt wie ein Prinz, während ihr Leben von Zwängen und Unfreiheit bestimmt ist.
Ich bin 16 Jahre alt.
Kein Schrei dringt aus meinem Mund.
Ich spreche aus diesem Körper, der mir nie gehört hat, zu mir selbst. Ich bin 16 Jahre alt. Ich wiege 47 Kilo und bin 1,59 Meter groß.
Ich höre sie Los, Mädchen! brüllen und muss wieder an den ersten Schrei denken:
Gott, es ist ein Mädchen!
Dieser Schrei vor meiner Geburt.
Der alles begründende Schrei.
Ursprünglich.
Der der Männer aus meiner Familie, die sich über Mamas Bauch drängten.
Ich stelle mir vor, wie mein Vater, mein Großvater, seine Brüder und seine Cousins auf den Bildschirm starren, auf dem mein Fötus in 3D zu sehen ist. Die Geburtshelferin stammelt Es tut mir leid, Es tut mir leid, und sie sind so bestürzt, als wäre gerade eine Atombombe auf Schiras gefallen.
Es war mein Vater gewesen, der auf den Ultraschall bestanden hatte. Er wollte sich die blaue Tapete an der Wand meines zukünftigen Zimmers und die hübsche Korbwiege sparen, falls es einen Fehler geben sollte. So hat er mich lange genannt.
Ich bin 16 Jahre alt, und ich spule alles im Schnelldurchlauf zurück.
Die Flüche. Die Klagen. Die zugeschlagene Tür. Dieser Satz, Es tut mir leid, Es tut mir leid, wie eine Schallplatte mit Sprung.
Maman hat mir diese Szene so oft erzählt, dass es mir vorkommt, als ob ich sie selbst ganz bewusst miterlebt hätte. Das Fruchtwasser im Mutterleib wirkt wie ein Resonanzkörper.
Als Zahra älter wird, mit ihren Freundinnen tanzen will und sich zum ersten Mal verliebt, wächst auch ihr Wunsch nach Freiheit.
Die Sprache von Delphine Minoui ist kraftvoll und intensiv und hatte mich sofort begeistert:
Ich bin ein Kind von Schiras.
Ich bin die tot geborene Tochter eines Landes, das mich zum Gespenst gemacht hat.
Ich verlange zu leben.
Selbst wenn ich sterben muss, damit man mich sieht.
Ich bekenne mich zu meinem Geschlecht, ob bad oder good, das ist mir scheißegal!
Ich fürchte mich nicht mehr vor meinem Schatten.
Und auch nicht vor meinem Vater.
Ein kurzer, aber sehr intensiver und kraftvoller Roman mit einer starken Protagonistin.
Mein ganzes Leben lang habe ich mir andere Leben für mich ausgedacht.
Ich habe meine Schreie unterdrückt.
Ich habe zugelassen, dass die der anderen allen Raum einnehmen.
Mit all dem möchte ich Schluss machen.
Den Tyrannen besiegen.
Er soll mit unseren Kopftüchern fallen.
Vielen Dank an den Orlanda Verlag und an NetGalley für dieses Rezensionsexemplar!