Jana, frisch mit Mann und zwei kleinen Kindern ins Neubaugebiet gezogen und bereits wieder schwanger, trifft auf Karo, eine Frau in ihrem Alter, und ist sofort von ihr fasziniert. Karo, die klassische Schönheit und doch so besonders natürlich, mit ihren fünf (in Zahlen: 5) Kindern, die sie ganz ohne Kita aufzieht und daneben noch die Zeit für Haushalt, ihren Mann Clemens und die Dokumentation ihres idyllischen Lebens für Social Media findet, erscheint Jana wie ein Wunder und wird für sie zum Schlüssel, um endlich in der neuen Umgebung einen Fuß in die Tür zu kriegen.
Denn Jana geht es gerade nicht besonders. Sie hat sich schwangerschaftsbedingt aus dem Job kündigen lassen und ist darüber zwar nicht unglücklich, jedoch muss andererseits das Haus abbezahlt werden. Ihr Mann Noah scheint ihr den Jobverlust übel zu nehmen, aber anstatt sich darüber auseinanderzusetzen, entfernen sie sich nur still und leise voneinander. Dazu kommt die bisherige Unverwurzeltheit in der neuen Heimat, und obendrein drohen am Horizont auch noch die Wahlen, die die AfD in eine ungeahnt starke Position bringen könnten.
"Still und leise" - das ist überhaupt ein großes Thema dieses Buches. Unterschwelligkeit. Subtile Verschiebungen von Bewertungen. Sinnvoll oder ungünstig, richtig oder falsch, Recht oder Unrecht. Nichts laut aussprechen. Stumme Entfremdung statt konstruktiver Diskussion. Ausblenden statt Hinschauen, Mitschwimmen im Strom statt eigener Analyse.
Nicht Jana kriegt hier in Wirklichkeit einen Fuß in die Tür, sondern es verhält sich vielmehr umgekehrt: Das Unheil des schwurblerischen Denkens fasst still und leise in ihr Fuß. Kleine Stückchen Wahrheit bzw. gute Ansätze (z.B. gesunde Ernährung, Abkehr vom Hamsterrad der Leistungsgesellschaft, Hinterfragen weiterer krank machender Strukturen) werden mit völlig aus der Luft gegriffenen oder auf Stammesdenken beruhenden Überlegungen gemischt, und heraus kommt ein verführerisches Gemenge, das Jana zu verschlingen droht.
Leider hat die Autorin keinen der Menschen rings um Jana so deutlich gezeichnet wie sie. Natürlich, sie ist Perspektivträgerin, aber bekanntermaßen heißt das nichts für die Ausarbeitung des weiteren Personals in einem Roman. Wo Noah eigentlich wirklich steht - es bleibt im Ungefähren, da es Jana offenbar nicht mehr interessiert. Was Karo wirklich zu Hause und in ihrer Ehe erlebt - man kommt über eine Ahnung nicht hinaus, da Jana die Augen davor verschließt. Wie Clemens wirklich drauf ist - Jana will nicht so genau hinsehen und suhlt sich lieber in seinem geheimnisvollen Charme. Was eigentlich mit Karos ältestem Sohn los ist - Jana findet es nicht heraus. Was Karos Freundinnen über sie wissen - ein ungelöstes Rätsel. Das alles sagt natürlich viel über Janas Charakter aus und ist daher für das Buch wichtig - für mich als Leserin aber dennoch ziemlich frustrierend.
Über weite Strecken liest sich das Buch wie eine Warnung. Und vermutlich wird auch irgendwer dazu schreiben, dass, was Jana passiert, jedem passieren könnte. Der Meinung bin ich allerdings nicht - dann könnten wir ja gleich alle aufgeben. Nein, kritisches Denken kann so manches abblocken, was sich uns mit lockendem Finger nähert, das zeigt sich u.a. auch in der Figur von Noah. Und natürlich umgekehrt auch in Jana: Denn sie entscheidet sich für ein deutliches Ja zu ihrer Verführung, zu ihrer Verschlingung, sie verschließt ganz bewusst die Augen vor dem, was nicht in das Idyll, in das kleine Rund aus Familie, Häuslichkeit und Heimat passt. Das stellt dieser Roman ganz wunderbar dar.
Der Schluss hat mich allerdings enttäuscht. Das Abdriften ins Persönlich-Wahnhafte zerstört für mich die politische Ebene, die im Buch so sorgsam aufgebaut wurde; anstatt die Verbindung von beidem zu zeigen - private Einstellungen und politische Konsequenzen -, wird hier für mein Gefühl auf den charakterlichen Knacks reduziert. Leider scheint sich durch den Eintritt in die wahnhafte Sphäre auch ein Einsammeln der Fäden zu erübrigen: Nichts wird aufgeklärt, es bleibt ein offener Schluss. Und zu den obigen Fragen nach den Figuren gesellen sich somit weitere: Hat Jana jemals realisiert, wo sie sich hinentwickelt? Hat sie jemals darüber nachgedacht, warum sie sich für nichts mehr außer Karo und deren Umfeld interessiert? Weiß sie noch, wer sie ist?
So könnte man immer weiterfragen - der Roman wird nichts davon beantworten. Stattdessen schließt er mit dem nichtssagenden Satz: "Es fühlte sich gut an."
Daher kann auch die Buchprüferin - einerseits begeistert von der Sprache des Buches, seinen Themen und der Subtilität, mit der der Sirenengesang des Bösen anschwillt; andererseits ohne Verständnis für das alles verschenkende Ende - nicht wirklich empfehlen oder abraten. Stattdessen schließt sie mit einem nichtssagenden: "Hm."