Die Nacht der Bärin wartet mir einem wirklich schweren Thema auf: Körperlicher und seelischer Missbrauch in Beziehungen. Mich hat wirklich gewundert, dass es im Buch keine Triggerwarnung gab, da dies ja inzwischen allgemein üblich ist und das Buch auf viele Personen durchaus verstörend wirken könnte. Dies gilt aber beim Verlag zu bemängeln und nicht bei der Autorin). Das Buch wird aus zwei Perspektiven erzählt. Einmal aus der von Jule, die nach einer sehr heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Freund zu ihren Eltern flüchtet. Und aus der Sicht von Anna und Maya, die einige Jahre zuvor unter dem Regime eines sehr strengen Vaters aufwachsen. Mir gefiel, wie die Autorin Vergangenheit und Gegenwart hat ineinander laufen lassen, wie Figuren gezwungen wurden, sich damit zu beschäftigen, was geschehen war. Und besonders gut gefiel mir Kira Mohns bildgewaltiger und einnehmender Schreibstil, den ich schon lange in keinem ihrer Bücher mehr so geliebt habe. Ob es ein verwunschener Feenwald ist, den sie beschreibt, so dass man den Duft des Waldes beinah in der Nase hat oder ob es die Anspannung am Küchentisch ist, wenn der gewalttätige Vater mal wieder kurz vor einer Explosion steht. Alles fühlt sich greifbar an, als stünde man direkt neben den Figuren und könnte ihnen über die Schulter schauen. Zwischen den einzelnen Kapiteln wurden immer wieder die typischen Sprüche eingefügt, die in toxischen Beziehungen fallen und die leider kein Klischee sind. Auch das hat mir als Ergänzung zur Geschichte gut gefallen. Die Figuren waren stimmig aufgebaut. Kira Mohn hat in ihren älteren Büchern für meinen Geschmack oft dazu geneigt, ihre Charaktere etwas überzeichnet darzustellen, hier war es jedoch perfekt. Das Einzige, das ich an der Geschichte zu bemängeln habe und weswegen ich dann nur 4,5 und keine vollen 5 Sterne geben konnte, waren, dass beim Thema Veganismus wieder ein belehrender Ton angeschlagen wurde, der nicht sein müsste. Ich mag es sogar, dass Kira Mohn das Thema anspricht, denke jedoch, dass man es natürlicher, ohne erhobenen Zeigefinger einbringen könnte. Leider etwas, das viele deutsche Autoren machen und dann eher Ablehnung als Zuspruch gegenüber diesen wichtigen Themen schaffen.Das andere Manko war, dass ich mir bei einigen Szenen gewünscht hätte, die Autorin würde die Grausamkeiten, die stattfinden, noch deutlicher Ansprechen. Sie hat die wirklich schlimmen Dinge eher zwischen den Zeilen beschrieben, so dass ich denke, dass bei einigen Lesern gar nicht ankommt, was dort im Haus dieser Familie tatsächlich abging. Und ich persönlich lese diese Art von Grausamkeiten gerne, auch, wenn es morbide klingt. Aber schlimme Dinge geschehen und man sollte nicht die Augen vor ihnen verschließen. Man spürt, dass sehr intime Gedanken und Erlebnisse der Autorin in dieses Buch eingeflossen sind, was sich auch nochmal im Nachwort bemerkbar macht. Man merkt schon beim Lesen, dass viele der Situationen sich unheimlich authentisch anfühlen. Und das macht "Die Nacht der Bärin" für mich zu einem unheimlich wertvollen und lesenswerten Buch.