Besprechung vom 12.10.2024
Schuldig? Er macht doch gar nichts!
Wenn der selbe Tag immer wieder kommt, ist etwas nicht in Ordnung: "Death. Life. Repeat." von Louise Finch erzählt, was.
Von Anna Nowaczyk
Am Anfang steht ein Knall. Er reißt James Spencer aus seinem komatösen Schlaf, lässt ihn den Rausch der letzten Nacht schlagartig bereuen und holt ihn in die zermürbende Realität zurück, die seit einem Jahr sein Alltag ist. James, genannt Spence, sitzt in seinem Auto auf dem Schulparkplatz, wo er die vergangene Nacht verbracht hat. Es ist der Todestag seiner Mutter. Seit sie vor einem Jahr verunglückt ist, lässt James sein Leben weitgehend teilnahmslos über sich ergehen. Dann knallt etwas in sein Leben, und zwar Clara Harts Auto in seine Stoßstange.
Stunden später ist sie tot. Während der Party von Spences Freund Anthony stürmt Clara aus dem Haus und wird angefahren. Spence sieht ihre merkwürdig abstehenden Gliedmaßen, beantwortet die Fragen der Polizei, erträgt das unbeholfene Mitleid seines Vaters, geht ins Bett. Nur um wieder in seinem Auto auf dem Schulparkplatz aufzuwachen. Knall. Wieder Freitag, wieder Todestag, wieder Clara Hart hinter dem Steuer ihres roten Nissan Micra.
Mit "Death. Life. Repeat." (im Original: "The Eternal Return of Clara Hart") hat die britische Autorin Louise Finch eine Zeitschleifengeschichte geschrieben, die sich von ähnlichen Titeln dieser mittlerweile recht beliebten literarischen Richtung schon dadurch abhebt, weil ihr Protagonist auf den ersten Blick nichts getan hat, was er wieder geraderücken müsste.
Denn was hat Spence schon falsch gemacht? Schließlich war es Clara, die auf die Straße gelaufen ist, es ist Anthony, der ständig Mädchen belästigt, sein Vater, der die sinnlosesten Small-Talk-Fragen ausgerechnet am Todestag seiner Mutter stellt. Er hingegen macht doch nichts - und genau das ist das Problem.
Über zehn Kapitel schickt Finch ihren Protagonisten auf die Suche nach seinem Verantwortungsbewusstsein. Geschrieben in der Ich-Perspektive, verzichtet sie auf lange Charakterisierungen. Vielmehr lässt sie ihre Protagonisten durch ihre Handlungen - oder, in Spences Fall, durch seine Nichthandlungen - sprechen. Denn Spence vermeidet und verdrängt, wo es nur geht. Da überrascht es auch nicht, dass sein erster Versuch, die Zeitschleife zu durchbrechen, darin besteht, die Party einfach vor dem Unglück zu verlassen. Doch Clara stirbt trotzdem, und Spence wacht wieder in seinem Auto auf.
Es vergehen einige Freitage, bis Spence sich zum ersten Mal seine Freunde genauer anschaut, die Mädchen auf Punkteskalen verorten, ihnen hinterhergrölen und sie belästigen. Ein Nebenstrang, der schleichend immer mehr Raum einnimmt. Fast beiläufig webt Finch den Sexismus in jede von Spences Zeitschleifen ein, so geschickt nebensächlich, dass man als Leser fast geneigt ist, sich gemeinsam mit Spence zu schämen, dass man all das so lange hingenommen hat.
Dass Finch überwiegend kurze Sätze benutzt, treibt die Handlung nach vorn. Wenn sie ihre Charaktere zu Wort kommen lässt, ist das zuweilen recht derb, passt aber in das Bild eines Schulhofes und von Jugendlichen mitten in der Pubertät. Schauplätze wie die Schule oder Spences Elternhaus werden kaum beschrieben, das ist aber auch gar nicht nötig. Denn durch die vielen Besuche an den immer gleichen Orten entsteht beim Leser ganz automatisch ein eigenes Bild von Spences Umgebung.
Umso ärgerlicher ist es, dass die Phantasie dann immer wieder von Rechtschreibfehlern und sprachlichen Ungenauigkeiten unterbrochen wird. Das sind stellenweise holprige Formulierungen wie "Meine Unruhe ist wie heftig verkatert". An anderer Stelle fallen Sprachbilder auf, die nicht recht aufgehen wollen: "Sie ist wie Cornflakes mit Milch, das Beste, seit es geschnittenes Brot gibt."
Wie viele Zeitschleifengeschichten droht auch "Death. Life. Repeat." schnell, repetitiv zu werden. Finch versucht das aufzubrechen, indem sie den Fokus in jedem Kapitel auf eine andere Szene des Tages legt und den sich immer wiederholenden Freitag teilweise nur ausschnitthaft beschreibt.
Eine etwas ermüdende Wirkung haben die Wiederholungen zeitweise trotzdem. Und doch sorgen sie nicht dafür, dass die Geschichte ihre Sogkraft verliert. Im Gegenteil: Sie lassen den Leser zugleich auf seltsame Art näher an den Protagonisten heranrücken, der sich nichts sehnlicher wünscht, als die scheinbare Endlosschleife endlich zu durchbrechen und den Schlüssel - wie er den Ausweg nach einigen durchlebten Freitagen nennt - zu finden.
Das Gefühl, dass das frauenverachtenden Verhalten seines Freundes Anthony dabei eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen könnte, beschleicht den Leser zwar schon früher als den Protagonisten. Und doch bleibt der Verlauf der Geschichte bis zum Ende unvorhersehbar. Denn wie auch Spence feststellen muss, gibt es keine einfache Lösung. Stattdessen sind es viele Stellschrauben, an denen Spence drehen muss, um sich endlich aus der Zeitschleife zu befreien.
"Death. Life. Repeat." ist ein spannender Debütroman über Verantwortung, Mut und Missbrauch. Er kommt ohne große Belehrungen aus und vermittelt seine Botschaften auf kluge und subtile Weise. Als Jugendbuch ausgewiesen, ist es eine genauso gute Erinnerung für Erwachsene, dass es nie zu spät ist, für andere einzutreten - und dass es in Ordnung ist, wenn es dafür mehr als einen Knall braucht.
Louise Finch: "Death. Life. Repeat." Roman.
Aus dem Englischen von Wolfgang Egle. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2024. 304 S., geb., 16,- Euro. Ab 14 J.
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