Besprechung vom 12.11.2020
Die Geduld trägt sie nur im Namen
Frauen in einer aufgewühlten Zeit: Margaret Goldsmiths Roman "Patience geht vorüber" aus dem Jahr 1931
Dieser Roman erschien 1931 zum ersten Mal, mitten in der Wirtschaftskrise. Er wurde deshalb schnell vergessen. Margaret Goldsmith, eine Deutschamerikanerin, hat ihn ihrer Freundin gewidmet, mit der sie eine leidenschaftliche Liebe verband. Den autobiographischen Hintergrund ihres auf Deutsch geschriebenen Werks versteckt sie nicht. Er wird aber erst so recht deutlich durch das umfangreiche Nachwort des Herausgebers Eckhard Gruber. Oft sucht man im Roman allerdings vergeblich nach Spuren der zahlreichen Berühmtheiten, die Margaret Goldsmith kannte. In der Romanfigur Gretel hat sie aber zumindest ihrer Freundin Vita Sackville-West, die zum Bloomsbury-Kreis um Virginia Woolf gehörte, ein Denkmal gesetzt.
Goldsmith war eine sehr produktive und vielseitige Publizistin. Sie arbeitete für die amerikanische Handelskommission, die BBC und für deutsche und englische Zeitungen, übersetzte deutsche Literatur ins Englische, darunter Bücher von Anna Seghers oder Erich Kästners "Emil und die Detektive", und sie fühlte sich generell als Vermittlerin zwischen angelsächsischer und deutscher Kultur. Mehr als zwanzig Sachbücher hat sie selbst geschrieben; dazu viele Biographien historischer Gestalten, insbesondere von Frauen.
Frauen in einer aufgewühlten Zeit, in der die Katastrophe des Ersten Weltkriegs nachwirkte, sind auch die Heldinnen ihres ersten Romans "Patience geht vorüber". Der Name der Titelfigur ist irreführend, denn die Erzählerin und spätere Journalistin Patience ist alles andere als ruhig und geduldig. Sie geht auch nicht vorüber, vielmehr lebt sie sehr intensiv in diesen Jahren zwischen den Kriegen, in denen Ordnungen zerbrachen und Traditionen sich im Chaos auflösten. Doch es gab auch Aufbrüche zu vielversprechendem Neuen und manchmal Parallelen zu unserer ähnlich unsicheren Zeit.
Der Spannung zwischen Politik und Privatem entsprechen die beiden Romanschauplätze Berlin und London. Patience ist die Tochter einer Engländerin aus bester Familie und eines deutschen Vaters aus verarmtem Adel; in beiden Ländern bleibt sie Außenseiterin, aber eben durch diesen Abstand auch eine gute Beobachterin. Sie bezeichnet sich selbst als pazifistische Sozialistin, ohne sich wie ihre Freundin Gretel ganz und gar einer politischen Partei anzuschließen. Ihre Mutter identifiziert sich mit den englischen Fabians und wird später nach der Rückkehr in ihre Heimat Parlamentsabgeordnete der Labour Party.
Die Neue Sachlichkeit war in den zwanziger Jahren nicht nur eine Richtung der Kunst, sie prägte als Grundeinstellung auch andere gesellschaftliche Bereiche. Sogar die Liebe und die Erotik. Jeder Anflug von Romantik war damals verpönt. Patience lässt Gefühle nur für ihre Freundin Gretel zu, heiratet jedoch einen Mann, einen Kriegsteilnehmer und Piloten, für den sie hauptsächlich Mitleid empfindet. Nach seinem Tod geht sie nie mehr eine länger dauernde Bindung ein, weder zu Frauen noch zu Männern. Aber Bindungen sind ja auch das, was sich in diesen Jahren am meisten verändert und auflöst. Der Versuch, Erotik und Sexualität durch technische Perfektion zu ersetzen, misslingt. Patience flüchtet sich geradezu in ein neues Studium, Medizin nämlich, das sie von ihren Selbstzweifeln erlöst.
Das alles teilt uns die Autorin in klarer schmuckloser Sprache mit; ganz ohne Klischees kommt sie aber doch nicht aus. Sie betreffen vor allem England, das anders als das Deutschland der Zwischenkriegszeit noch länger an seinen Traditionen festhielt. Dazu hätte man gern mehr erfahren als die Beispiele von understatement und unterkühlten Gefühlen.
MARIA FRISÉ
Margaret Goldsmith:
"Patience geht vorüber".
Roman.
Aviva Verlag, Berlin 2020. 224 S., geb.
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