Wir arbeiten uns den Arsch aus der Hose. Unter Tage ist es finster, in der Schmiede heiß, in der Wäscherei stickig. Manchmal dürfen wir ans Wattenmeer, verdorrich nochmal, ist das schön. Selbst im stinkigen Schlick. Bald ziehen wir ganz hin, wenn wir sechs Richtige haben, irgendwann sind wir dran, dann stehen wir in der Zeitung.
Ein Vater der im Bergbau und als Schmied arbeitet, eine Mutter die in Heimarbeit näht, vier Kinder, eines davon behindert, die durchgebracht werden müssen. Der Traum vom Reihenhaus und mühsam ersparte Tage an der Nordsee. Zu oft viel zu fettiges Essen und viel zu viel Bier und Schnaps und Zigaretten und daraus resultierende lebensbedrohliche Erkrankungen.
Ich will das alles nicht zurückhaben. Nicht die Scham, nicht die Wut, nicht die endlos verqualmten Abende im Wohnzimmer mit Privatfernsehsendungen.
Was Martin Becker in Die Arbeiter erzählt, ist die Geschichte einer Familie aus der Arbeiterklasse. Seiner Familie.
Eine Familie aus dem sauerländischen Plettenberg, die alles tut, um an ein bisschen Glück zu kommen, der aber nur harte Arbeit bleibt und das Geld trotzdem nicht reicht.
Dabei ist Becker gnadenlos ehrlich und offen, auch wütend, aber immer loyal seiner Familie gegenüber.
Er, 1982 als Nesthäkchen geboren, beginnt seine Reflektion auch in den 80er Jahren, hält sich aber nicht an ein chronologisches Erzählen, sondern springt als Ich-Erzähler mal vom Kind das er war, zu dem erwachsenen Ehemann und Vater, der er jetzt ist.
Dabei weckt er Erinnerungen, ein ja, so war das bei uns auch, wie die Weihnachtsgeschenke aus dem Quelle-Katalog (Stereoanlagen!), die gebraucht gekauften Autos und die Wind/Regen/Ski Jacken von Aldi.
Er hat mich sehr berührt, gerührt, bis hin zu sehr feuchten Augen, mit seinen ja, liebevollen - Alltags-Schilderungen, seinem genauen Blick auf den cholerischen Vater, den nach 50 Jahren Plackerei die Pflege der kranken Ehefrau und Tochter erwartet. Auf die Mutter, die immer vom besseren Leben träumte, deren tatsächlicher Wohlstand aus Cola als einzigem Getränk, Tiefkühltorten zu Feiern und opulenten, im Sinne von fettreichen, Mahlzeiten bestand. Die mit ihrer Art oft angeeckt ist, auf der Seite der belächelten stand. Auf die eine Schwester, die ziemlich bald die Biege macht, sich lossagt von der Familie. Auf die andere Schwester, die Älteste, welche die Eltern adoptiert haben, als es erst nicht klappen wollte, mit dem Kinderkriegen und über deren Behinderung sie nicht informiert wurden, sie dafür aber hätten zurückgeben können. Über den Bruder, der bleibt und sich kümmert.
Die Arbeiter ist ein Zeitzeugnis einer Klasse, die es so nicht mehr gibt und setzt sich eindrücklich mit Identität und Zugehörigkeit auseinander. Schnörkellos und fesselnd in der Sprache und eine sehr große Leseempfehlung. Das wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.
Mein Vater stirbt. Meine Mutter stirbt. Und dann auch noch eins von ihren Kindern. Das waren wir. Eine Familie aus der Vergangenheit. Aus der Kleinstadt, aus dem Reihenhaus. Das nie ganz uns gehörte. Wie alles. Ohne Geld, mit geringer Lebenserwartung. Arbeit taktet die Tage durch, bis sie stottern, bis sie gezählt sind.