
»Der hat aber eine richtig schöne Schrift. Diese Unterschrift ist ja ein richtiges kleines Kunstwerk. «
»Muß ja sein. Seine Texte sind ja auch richtige kleine Kunstwerke! «
»Max Goldt ist der Inbegriff von Menschlichkeit. « Durs Grünbein
»Der hat aber eine richtig schöne Schrift. Diese Unterschrift ist ja ein richtiges kleines Kunstwerk. «
»Muß ja sein. Seine Texte sind ja auch richtige kleine Kunstwerke! «
»Aber wie der den Stift hält! So krumm! «
»Aber eine schöne Schreibmappe hat er! Sogar aus echtem Leder. «
»Der Stift ist auch sehr schön! Der Mann ist eben ein richtiger Profi! «
»Meine Mutter hatte auch mal so einen schönen Stift wie der, aber sie ist nach Thailand gefahren und hat den Stift dann nie wiedergefunden. Wahrscheinlich geklaut! Das Hotelpersonal wird ja so schlecht bezahlt! «
Besprechung vom 17.09.2025
Frauen auf Baustellen im Hochsommer
Wurde aber auch Zeit: Max Goldt überrascht wieder mit nicht durchweg harmlosen Ansichten.
Max Goldt ist der originellste, am schwersten fassbare Autor der vergangenen 35 Jahre, seit der mehrmals umbenannten "Titanic"-Kolumne "Aus Onkel Max' Kulturtagebuch", die als sein Durchbruch gilt und damals wohl nicht nur für satireerfahrene Leser so etwas wie eine Offenbarung war. Jetzt, bei Gelegenheit seines neuen Buches, obendrein zu behaupten, er sei auch der am meisten missverstandene, soll nicht den Eindruck erwecken, man wolle sich damit nur aufspielen als jemand oder sogar als der Einzige, der ihn "versteht". Mit dem Verständnis ist es hier aber so eine Sache - Goldts tatsächlich einzigartiger, unmöglich nachzuahmender Stil hat es an sich, dass er bei größtmöglicher Eleganz und Klarheit den Leser doch oft im Ungewissen darüber lässt, wie das alles gemeint ist.
Normalerweise sollte so etwas wie "Haltung" bei einem Schriftsteller keine Rolle spielen. Aber Goldt ist kein normaler Schriftsteller, jedenfalls kein eigentlich erzählender; sein Gebiet ist die gesellschafts- und zeitkritische Kurzform, in der freilich die kunstvollsten gedanklichen und sprachlichen Verschrobenheiten untergebracht sind, durchweg nah am allgemeinverständlichen, von altertümlichen Wendungen durchsetzten Hochdeutsch (Betonung auf Hoch-).
Ein solches Verfahren ist letztlich auf Ausgewogenheit aus; pamphlethafte Unverblümtheiten kommen, vielleicht mit Ausnahme der legendären, eiskalten Kennzeichnung der "Bild"-Zeitung ("Organ der Niedertracht"), so gut wie gar nicht vor. Die Mühe, die das bereitet, kann man nur erahnen. Es liegt aber auf der Hand, dass sie mitursächlich für die doch recht lange Blockade von rund zehn Jahren war, von der sich Fans wie Kritiker (was meistens dasselbe ist) schon fragten, wie und warum sie ausgerechnet Max Goldt treffen musste - eben darum, möchte man sagen und auf Thomas Manns Erzählung "Tristan" verweisen, in der die verkrachte Existenz Detlev Spinell den Beweis dafür liefert, dass ein Schriftsteller jemand ist, "dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten". Das war, trotz der ätzend satirischen Porträtierung, ernst gemeint.
Das Schreiben als schwere Geburt: Was dabei in Goldts Falle herauskommt, ist auch jetzt wieder einsame Stilkunst, versammelt unter der ausdrücklich fragenden Überschrift "Aber?". So fragt man, um jemanden aus der Reserve zu locken, um ihm zu signalisieren, er könne ruhig mit der ganzen, womöglich gegenteiligen Wahrheit herausrücken. Und die Antwort lautet oft: "Nichts ,aber'." Autor und Verlag, der jetzt - ein weiterer Coup für Alexander Fest: schon wieder einen dicken Fisch an Land gezogen - dtv ist und nicht mehr Rowohlt, werden sich schon etwas dabei gedacht haben, eine Konjunktion, die hier als Partikel fungiert, zum Titel eines Bandes zu machen.
Das Titelstück ist eines dieser sogenannten Dramolette, das Sprechen mit verteilten Rollen über dies und das. Ein "Kerlchen", dessen Bezeichnung redselige Arglosigkeit signalisiert, kommt mit einem hochnäsig-kultivierten "Bourgeois" in ein sprachkritisches Gespräch darüber, was man (heute) noch sagen darf und was nicht (mehr). Am Ende lässt sich der "Bourgeois" zu folgendem Geständnis herab: "An sich bin ich schon ein Mensch, dem es ein ungeheures Anliegen ist, allen Menschen, die auf diesem - unserem gemeinsamen - Erdball herumspazieren, erst einmal mit Offenheit und Riesenrespekt zu begegnen . . ., jedem, der mir seine Hand reicht, ganz klar und unumwunden ins Gesicht zu sagen: Du bist eine wunderbar spannende, richtig wertvolle Mit-, ja, wie soll ich das ausdrücken, Mit-Gestalt, Mit-Erscheinung, aber . . ." Das Kerlchen fragt: "Aber?" Eine Antwort bleibt aus. Man geheimnist wohl nicht zu viel hinein, wenn man die bourgeoise Selbstcharakterisierung als die von Max Goldt liest: Im Prinzip bin ich ein Menschenfreund, aber . . . Das ist eine Art Höflichkeit, die zu ihrer Entfaltung unbedingt auf Distanz angewiesen ist, die man sich eher größer als kleiner vorzustellen hat. Wer Goldt je persönlich oder während seiner Lesungen erlebt hat, weiß Bescheid. Er macht aus seinem Distinktionsbedürfnis keinen Hehl - mit dem Herrgott zu sprechen: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege."
Und hier liegt schon ein Grund dafür, das Max Goldt schnell missverstanden wird, irgendwie "Kult", aber nur sehr bedingt anschlussfähig. Denn dazu ist er zu formbewusst und, in seinen Meinungen, auch zu besonders. Man merkt das jedes Mal, wenn bei seinen Lesungen lauter gelacht wird, als er es für nötig hält; es scheint ihm nicht ganz recht zu sein, wenn das Publikum sich auf diese Weise entäußert, was, nach allem, was man so hört, inzwischen auch weniger vorkommen soll - ein erzieherischer Effekt? In einer seiner ganz starken alten "Titanic"-Kolumnen berichtete er von einem Kinobesuch in Spanien und von einem in Berlin, es war ein und derselbe Film. Im spanischen Kino hätten sich die Zuschauer auch an den lustigen Stellen gesittet und still verhalten, in Berlin dagegen übertrieben laut gelacht, sich, wie Goldt, vorsätzlich altmodisch, vielleicht selbst sagen könnte, "beömmelt". Daraufhin äußerte er den Verdacht, dass die Leute hauptsächlich kämen, um sich selbst zu feiern; dabei tue es ein gepflegtes Schmunzeln doch auch.
Es mag sein, dass die eisige Schärfe, mit der er dergleichen zu Papier bringt, gelesen einen anderen Eindruck macht und das Publikum zur Zutraulichkeit, gar zur Verbrüderung ermutigt - nichts läge Goldt ferner. Deswegen ist die These nicht allzu gewagt, dass sich unter seinen Zuhörern (und unter seinen Lesern natürlich auch) viele finden, die sich von seinen Stil- und Benimmkritiken direkt angesprochen fühlen dürfen; er sagt es bloß nicht und schnitte sich damit ja auch nur ins eigene Fleisch. Wie sehr ihn das Humorverständnis beschäftigt, sieht man jetzt wieder: "Ärgerlich ist, daß die bloße Bereitwilligkeit zu lachen meist mit dem Vorhandensein von Humor gleichgesetzt wird. Ich schau mir schon lange die Menschen an und kann nicht feststellen, daß solche, die mit Humor gesegnet sind, häufiger oder lauter lachen als andere." Da habt ihr's, möchte man den Lachern zurufen.
Als, wenn man so sagen darf, Filetstück der neuen Textsammlung wurde schon die Erinnerung an Wiglaf Droste ausgemacht, der 2019 mit 57 Jahren starb. Dass die Rezensenten diesen Nachruf - denn um einen solchen handelt es sich im Grunde - als "schön" oder "anrührend" empfunden haben wollen, mag einem Harmoniebedürfnis geschuldet sein, das bei einem Humanisten, als den sie Goldt regelmäßig ausrufen, dunklere Seiten lieber übersieht. "Die Phase der Pietät ist nun wohl vorbei": Dieser umstandslose, fast grobe Einstieg ist ja nur als Ansage zu lesen, dass es im Folgenden eben nicht durchweg pietätvoll zugeht. De mortuis . . . mag nicht immer die richtige Maxime sein, weil sie schnell auf Kosten der Wahrheit gepflegt wird. Es ist aber doch allerhand, dass hier nicht nur Drostes notorische "Neigung zu Krawall und Gewalt" zur Sprache kommt, sondern angedeutet wird, "daß auch mehrere seiner häufig wechselnden Lebensgefährtinnen von solchen Behandlungen nicht verschont geblieben sind. Wobei ich den Satz mit ,Ich habe gehört' einleite, um seine Justiziabilität zu verringern. Ich habe tatsächlich nur davon gehört. Dabei gewesen bin ich nicht." Um es in Goldts Idiom auszudrücken: schlaues Kerlchen.
Er hat an alles gedacht: Denn im Kapitel davor, wo es um anonyme Schmähungen und kollegiale Diskretion geht, kommt er in einem fingierten literaturkritischen Dialog auf den Tatbestand des Öffentlichmachens zu sprechen, den nun leider auch die vorliegende Rezension erfüllt: "Ihr Text hat einen erheblichen Schönheitsfehler: Nämlich, daß er die Schmähung, als deren Urheber Sie auf keinen Fall dastehen möchten, in voller Länge zitiert." So viel zur Selbstreferenzialität des Betriebs. Goldt berichtet im Droste-Porträt, das auch sonst nicht sonderlich schmeichelhaft ausfällt und die Temperamentsunterschiede der beiden erwartbar klar herausarbeitet, ausführlich von einer Lesung im Münsteraner Audimax im Rahmen der gemeinsamen Lesetournee vom Herbst 1991. Der Rezensent saß, voller Bewunderung für beide, für die gepflegte Ausdrucksweise des einen und den in der Tat krawalligen Konfrontationskurs des anderen, zusammen mit den, so Goldt auch in großem zeitlichen Abstand noch missbilligend, "500 eher unangenehm amüsierwilligen Studenten" auf der Hörbank. Es ging tatsächlich hoch her, das lag vor allem an Drostes overdrive, während Goldt schon auf das erste Blitzlicht pikiert reagierte: "Nicht knipsen! Ich hab' mir das verbeten." Irgendwann, wahrscheinlich aus dem übermütigen Bedürfnis heraus, sich dabei auch ein wenig selbst zu feiern, fragte jemand: "Könnt ihr auch was zusammen?" Goldt, mehr als schlagfertig: "Nee, wir sind doch nicht Dick und Doof."
Wer es also noch nicht bemerkt haben sollte: Max Goldt, dessen Verehrung Züge der Betulichkeit trägt, ist nicht so harmlos, wie seine Kultiviertheit vielleicht vermuten lässt. Er ist nicht dieser Onkel, der gemütlich herumflaniert und die Leute an seinen heiteren Alltagsbetrachtungen teilhaben ließe, und legt es nicht darauf an, sich angenehm zu machen. Seine ausgesprochen kritischen Affekte und sein Bedürfnis, sich die Leute nach Möglichkeit vom Leib zu halten, darf man nicht unterschätzen. Der durchdachte Stil dient der Richtigstellung gedankenlosen Geredes. Hier steht schon im allerersten Absatz eine schöne Bosheit: "Ich hoffe, daß die Geschlechtergerechtigkeit eines Tages so weit gehen wird, daß man demnächst auch mehr Frauen auf Baustellen sieht, insbesondere auf Straßenbaustellen im Hochsommer" - unbezahlbar eigentlich, dieses "insbesondere"! Zu ergänzen wäre noch: so richtig schön mit Teermaschine und Presslufthammer.
Man kann nur dankbar sein für dieses Comeback, das wieder eine Lektion in ungewöhnlichem Denken und Sprechen ist und überhaupt keinen Niveauverlust erkennen lässt. EDO REENTS
Max Goldt: "Aber?"
Dtv, München 2025. 158 S., geb.
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