
Besprechung vom 17.10.2025
Allein mit der Angst
Das Buch "In meinem Element" der Seglerin Pip Hare nimmt Leser mit in ein einsames Abenteuer auf hoher See
Pip Hare will und wird nicht sterben. Nicht jetzt, nicht auf dieser Yacht, nicht an diesem Ort, mitten auf dem eiskalten Ozean, fernab jeder Zivilisation. Gleich mehrfach schießt der britischen Seglerin dieser Gedanke in den langen Wochen ihrer Teilnahme an der härtesten Regatta der Welt durch den Kopf. Fast immer gefolgt von der oft auch bitteren Erkenntnis: "Es kann dir niemand helfen. Du musst das jetzt allein schaffen."
In ihrem Buch "In meinem Element" schildert Pip Hare auf 268 Seiten, wie sie erstmals in ihrem Leben solo und nonstop im Rahmen der Vendée Globe 2020/2021 um die Welt segelt. Sie schildert, mit welchen brenzligen Situationen und bedrohlichen Problemen sie währenddessen regelmäßig konfrontiert wird - und wie sie diese bewältigt hat. Sie erzählt vom eklatanten Ruderschaden und einem gefährlichen Aufstieg auf den Mast zur Reparatur, von mehreren Lecks und ausgefallener Elektronik, von massenhaft giftigen Quallen an Deck, die bei Hare auch noch eine qualvolle Hautentzündung hervorrufen. Die damals 47-Jährige wird auf ihrer etwa 25.000 Seemeilen (mehr als 45.000 Kilometer) langen Route auf eine schier unmenschliche Probe gestellt.
Pip Hare ist weder eine besonders berühmte noch eine ausgesprochen erfolgreiche Hochseeseglerin. Sie gehört zwar zum erlesenen Kreis jener Skipper, die mit einer knapp 18 Meter langen Yacht an der Vendée Globe teilnehmen. Aber mit ihrem bereits zwanzig Jahre alten Boot Superbigou - das in vielerlei Hinsicht nicht mehr dem Entwicklungsstand hochmoderner und auf ihren Foils über das Wasser fliegender Superyachten entspricht - gehört sie 2020 zu den krassen Außenseitern der Regatta und segelt bereits nach den ersten Tagen auf See durchweg im hinteren Drittel des Feldes. Der Eindrücklichkeit ihrer Erzählungen schadet dies jedoch in keiner Weise.
"Ich habe vor Kälte gezittert, war ausgelaugt von der Hitze. Und doch springt mein Körper jedes Mal an, sobald das Boot mich braucht. [...] Wir sind zu weit mehr imstande, als wir glauben - körperlich wie geistig", schreibt Hare, als es im Buch gerade um ihren 77. Tag auf dem Ozean geht. Angst und Unsicherheit sind da schon seit vielen Wochen ihre ständigen Begleiter: Es beginnt mit der (auch finanziellen) Unsicherheit, in einer von den ersten Wellen der Corona-Pandemie gezeichneten Gesellschaft überhaupt eine Yacht an die Startlinie bringen zu können, die den Naturgewalten der Weltmeere standhalten kann. Auf hoher See begleitet sie dann das stetige Gefühl, nicht gut genug zu segeln, dass sie den schmalen Grat, mit hoher Geschwindigkeit und noch annehmbarem Risiko voranzukommen, verlässt. Und schließlich überkommen sie regelmäßig die Angst um das eigene Leben und die Erkenntnis, dass ein falscher Handgriff oder eine unbedachte Entscheidung tödliche Folgen haben könnte. Aus jeder dieser zum Teil lähmenden Situationen findet Hare einen Ausweg. Und zumeist beschreibt sie den Weg dorthin so nachvollziehbar und konstruktiv, dass sich einige dieser Strategien ohne Weiteres auf die eigenen - weit weniger gefährlichen - Aufgaben des Alltags übertragen lassen.
Detailliert erzählt Hare zudem von den Tücken auf hoher See, die abseits der regelmäßig auftretenden lebensbedrohlichen Probleme auf die allein über den Ozean rasenden Skipper warten: wie kompliziert und manchmal sogar gefährlich es beispielsweise ist, sich auf einer über die Wellen rasenden Yacht die in Vakuumbeuteln verpackte, gefriergetrocknete Nahrung mit kochend heißem Wasser zuzubereiten. Und wie ungenießbar diese nach nahezu drei Monaten fernab jeder Küche und jedes Supermarktes dann irgendwann auch ist. Hare berichtet von stinkender, durchnässter und auf der Haut scheuernder Kleidung, von eiskaltem Salzwasser, das sich bei jedem Gang an Deck literweise über sie ergießt, und von Schlafphasen, die nicht länger als 30 Minuten dauern und die sie so gut wie nie liegend, sondern in einer Art Sitzsack hängend verbringt - allerdings nur, wenn es die aktuelle Geschwindigkeit des Bootes, sein Zustand und die derzeitige Wetterlage auch zulassen.
An einigen Stellen lässt Pip Hare ihre Leser allerdings ein wenig allein. Wer kein Segelexperte ist, kann in manchen Passagen beispielsweise nur erahnen, welche komplexen Arbeiten und Handgriffe die Britin in vielen Situationen an Bord durchführt. An anderen Stellen bekommt man dagegen bereits zum vierten oder fünften Mal berichtet, wie besonders Hares Beziehung zu einigen anderen Skippern ist oder was die Vendée Globe an sich so außergewöhnlich macht. Auch hat Hare ihre Geschichte mit etwas Unwucht aufgebaut. So hätten besonders die dramatischen Wendungen im letzten Drittel der Regatta etwas mehr Raum verdient gehabt als die zum Teil länglich wirkenden Erzählungen zu den Vorbereitungen der Rund-um-die-Welt-Regatta.
Ihre erste Vendée Globe beendete Pip Hare schließlich auf dem 19. Platz. Bei ihrer Teilnahme im vergangenen Jahr brach Hare dann mitten im Südpolarmeer der Mast. Sie musste aufgeben und rettete sich und ihr Boot nach Melbourne. Auch in dieser Notsituation wehrte sich die Seglerin mit ganzer Kraft gegen die drohende Katastrophe. Auch aus dieser Lage hat sich Pip Hare befreit. Ganz allein. SEBASTIAN REUTER
Pip Hare
In meinem Element: Härteprüfung Vendée Globe
Delius Klasing Verlag, 272 Seiten
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