Dr. Thomas Saller, der sich als Autor kurz Tom Saller nennt, ist studierter Mediziner und praktiziert als Psychotherapeut. Mit seinem aktuellen Roman wirft er einen Blick zurück auf die Anfange dieses Berufsfeldes, indem er Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, und vor allem dessen jüngste Tochter Anna zu Protagonisten macht.
Da ich nicht nur Psychotherapie gegenüber aufgeschlossen bin, sondern auch recht wenig über Anna Freud wusste, war ich sehr gespannt auf "Ich bin Anna". Doch was für eine Enttäuschung: Weit über die Hälfte des Romans habe ich mich entsetzlich gelangweilt. In der Rahmenhandlung erinnert sich die 84-jährige Anna an ihre Zeit als junge Frau in Wien, trotz Berufstätigkeit lebt sie noch bei den Eltern. Im Hauptteil wechselt die Ich-Erzählperspektive zwischen Anna und ihrem Übervater Sigmund. Doch die Perspektivwechsel fördern wenig Überraschendes zutage.
Saller lässt Anna eine (fiktive) Lernanalyse bei ihrem Vater machen. Ein an sich interessantes Gedankenspiel, doch es bleibt nebulös, wie dies vonstatten ging. Auch sprachlich hat mich der Roman leider gar nicht erreicht. Stellenweise allzu bemüht intellektuell, dann wieder war nur schwer zu erkennen, aus wessen Perspektive gerade erzählt wird, zu sehr gleichen sich die Ausdrucksweisen von Tochter und Vater. Zwar lässt sich das durch einen Twist am Ende erklären, aber es hat eben leider meinen Lesegenuss deutlich geschmälert.
Auch inhaltlich hatte ich mehr erwartet. Weder erfährt man jenseits der gut bekannten biografischen Eckdaten sonderlich viel über die Familie Freud, noch über die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. Mit einer Ausnahme, nämlich wie Sigmund dazu kam, einen Todestrieb ("Thanatos") zu postulieren; allerdings ist auch diese Erklärung fiktiv.
Alles in allem kaum Unterhaltung und wenig Erkenntnisgewinn für mich.