Zukunft braucht Herkunft: Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit dem, was gut war, und mit dem, was nicht gut war. Doch auch dreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wird darüber geschwiegen, welche seelischen Folgen die DDR durch autoritäre Erziehung, den Rückzug ins Private, das Leben in Scheinwelten, Überwachung, Flucht und Verlust der Heimat für Millionen Deutsche bis heute hat. Aber die Seele kennt keinen Schlussstrich!
Der Therapeut Udo Baer, selbst in der DDR aufgewachsen, begibt sich anhand vieler Gespräche auf die Suche nach diesem DDR-Erbe in der Seele. Er findet nicht nur ein selbstverständliches Selbstbewusstsein vor allem bei Frauen, sondern tabuisierte Ängste, Trauerverbot und Traumata bei vielen Menschen. Diese Erfahrungen müssen endlich gewürdigt werden. Nur wenn in den Familien und in unserer Gesellschaft über die inneren Spuren gesprochen wird, wird deren Weitergabe an die nächste Generation unterbunden. Nur dann können alle Deutschen in eine gemeinsame Zukunft gehen.
Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI), Vorsitzender der Stiftung Würde und Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin. Autor u. a. von »Das große Buch der Gefühle«, »Das Abc der Gefühle« und »Wie Kinder fühlen«.
Udo Baer ist Mitinitiator der Kinderwürde-Plattform, die sich an alle wendet, die sich für die Würde der Kinder engagieren. Ganz gleich, ob Sie Eltern sind oder Erzieher*innen oder Lehrer*innen, Therapeut*innen oder andere pädagogische Fachkräfte. Zur Kinderwürde gehört, allem entgegenzutreten, was diese Würde verletzt und bedroht.
Pressestimmen
»Ein wichtiger Beitrag zur Verständigung zwischen Ost und West, auch mehr als 30 Jahre nach der Wende. « Marion Gottlob, Rhein-Neckar-Zeitung, 1. 10. 2020
Von Christiane Kürschner, roter-reiteram 14.10.2020
Wie die DDR in uns weiterlebt
Im Winter 1960 flieht der zehnjährige Udo Baer mit seinen Eltern aus dem brandenburgischen Spremberg nach Westdeutschland. Er lässt alles zurück und beginnt ein neues Leben. "Trauer durften weder die Kinder noch die Eltern spüren", erinnert er sich. Seine Fluchterfahrung und das Leben in der DDR prägen ihn noch heute.
Nun hat der Therapeut das Buch "DDR-Erbe in der Seele" geschrieben, das die Geschichten von Menschen erzählt, die in der DDR aufgewachsen sind und die von diesem System geprägt wurden.
Tiefe Spuren
Udo Baers Eltern forderten von ihrem Sohn, die neue Situation sofort als gegeben anzunehmen, so, wie sie es selbst auch gewohnt waren. Fragen stellen, Dinge hinterfragen oder Gefühle wie Heimweh zulassen war nicht vorgesehen. Als Udo Baer in der S-Bahn saß, in der sie in den Westen flüchteten, kamen ihm die Tränen, als er verstand, dass er (vermeintlich) nie wieder zurückkehren konnte, zu seinen Freunden und in seine gewohnte Umgebung. "Hier wird nicht geweint. Das ist nicht so schlimm", war die Reaktion der Eltern, "dafür gibt es hier im Westen Bananen." Es wird wohl viele Ostdeutsche geben, die ähnliche Situationen aus der eigenen Kindheit kennen.
"Gefühle wie Trauer nicht zu zeigen und stattdessen mit Bananen getröstet zu werden, beeinflusste mich lange", erzählt Baer. "Tief in mir lernte ich, Gefühle nicht spüren und erst recht nicht zeigen zu dürfen." Als einige seiner Sachen, die seine Eltern sich selbst vor seiner Abreise aus dem Osten an Freunde im Westen zugeschickt hatten, niemals ankamen, gab sich Udo Baer ganz selbstverständlich selbst die Schuld dafür, dass er die Sachen nicht finden konnte. "Die Schuld konnte nur bei mir liegen. Das blieb, lange."
Warum wir sind, wie wir sind
Baer hat Interviews mit mehr als 20 Personen geführt, die wie er ein DDR-Erbe in sich tragen. Dabei zeigten sich gemeinsame Erfahrungen und auch Folgen der Erziehung und Jugend in einer Diktatur. Die Betroffenen erzählten, wie Erziehung in der DDR aussah ("Mein Lernweg war mitschreiben und Klappe halten.") und wie die vielbeschworene Solidarität ein Notkonstrukt der Mangelwirtschaft war.
Überhaupt wird sichtbar, wie die innerhalb der Bevölkerung und auch außerhalb der DDR propagierte ideale Welt des Volksstaates gar nicht so ideal war. Beispielsweise waren Frauen scheinbar gleichberechtigt: Sie gingen arbeiten - wie die Männer - und die ausnehmend gute Versorgung mit Kindertagesstätten ist noch heute Vorbild.
Jedoch wurde von Frauen auch immer erwartet, dass sie nicht nur - in Schichten - arbeiten gehen und ihre Babys mit wenigen Wochen in die Fremdbetreuung gaben, sondern auch - ganz traditionell verhaftet - gut aussahen und den Haushalt organisierten. Wer diesem Druck nicht standhalten konnte, hatte schnell Schwierigkeiten: Wer nicht arbeiten wollte, war in den Augen des Staates "asozial" und "arbeitsscheu". Die Forderungen, Regeln und Ansichten der DDR prägten die Menschen, die in diesem System lebten, weit über die Wiedervereinigung hinaus.
Udo Baer zeigt in seinem Buch, wie Menschen, die in der DDR lebten, aber auch deren Kinder, noch heute das Erbe des autoritären Systems in sich tragen. Damit bietet er eine Grundlage, sich mit der eigenen Herkunft auseinanderzusetzen und tiefliegende Traumata zu bearbeiten - eine wichtige Aufgabe, um unbeschwert in die Zukunft blicken zu können.
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