REZENSION
- Ein trotz seiner nur 224 Seiten wuchtiger Roman, atmosphärisch dicht, emotional beklemmend und packend erzählt, ist "Kaltblut", das im März beim C. Bertelsmann Verlag veröffentlichte literarische Debüt des Schauspielers Wolfgang Maria Bauer (61). Die Geschichte wirkt auf den ersten Blick vielleicht wie eine gelungene Mischung aus Heimatroman und Liebesroman, doch reicht sie als psychologisches Drama und Gesellschaftsporträt weit darüber hinaus. Bauers Erzählung zeigt anschaulich, wie die konservativ denkende Gemeinschaft eines kleinen Alpendorfes einem Menschen misstrauisch gegenübersteht und ihn zermürben kann, nur weil er sich außerhalb der gewohnten Norm bewegt und deshalb für sie unverständig handelt.Sprengmeister Stubber, ein wortkarger Einzelgänger, lebte schon immer als Außenseiter abseits der Dorfgemeinschaft und ist jetzt nach siebenjähriger Abwesenheit in der Stadt wider Erwarten zurückgekehrt. Damals hatte er nicht nur sein Heimatdorf Hals über Kopf verlassen, sondern auch seinen neugeborenen Sohn Luka, dessen Mutter bei der Geburt starb, im Stich gelassen und in die Obhut des Pfarrers Georg und dessen Haushälterin Anna Anzengruber übergeben. Er sei ein kaltherziger Mensch, ein Kaltblut, stand deshalb für die Dörfler fest. "Das Dorf zerriss sich seit Jahren das Maul über seine Person, man hielt ihn für einen Unmenschen. Doch das war ihm einerlei."Auch nach seiner Rückkehr lebt Stubber wieder abseits des Dorfes, doch fühlt er sich heimatlos. "Zwar waren die Berge noch dieselben gewesen, aber sie bargen ihn kaum noch ... Ebenso die Menschen. Auch sie waren unverändert gewesen, verlogen, stumpfsinnig und heimtückisch. Doch wo er sich früher mit ihnen auseinandergesetzt und gestritten, gegen die Alten aufbegehrt und mit den Jungen geprügelt hatte, da schien ihm heute jedes Wort vergeudet. Sie waren ihm gleichgültig geworden." Seinen spärlichen Unterhalt verdient er wie schon vor ihm sein Vater als Sprengmeister mit kleinen Aufträgen. Als bei einer nächtlichen Geburtstagsfeier in einer Hütte elf Männer bei einer Explosion zu Tode kommen, sehen die Dorfbewohner in ihm, dem Außenseiter und Einzelgänger, den wahren Schuldigen - obwohl Stubber zu jener Zeit gar nicht in jener Hütte war, wie die Polizei ermittelt hat. Doch dies ändert nichts an der abweisenden Haltung der Dörfler ihm gegenüber. Nicht einmal zur Beerdigung der elf Opfer wird er zugelassen.Stubber zieht sich daraufhin in die Bergwelt zurück und sehnt sich nach seiner Geliebten "Alaska", jener vor sieben Jahren verstorbenen Mutter seines Sohnes, "der Frau mit den seltsam wässrig-blauen Augen". In diese junge Frau aus Irkutsk, die ihm vor sieben Jahren auf ihrer Walz in den Bergen zufällig begegnet war, hatte sich Stubber damals spontan verliebt und hatte sie seit ihrem Tod nicht mehr vergessen können. "Er mochte diesen Finger, diesen Befehl, dieses Grinsen, den Humor, den Akzent, die Augen, die Hare, jede Faser."Bauers Roman "Kaltblut" zeichnet sich durch die klare, ruhige und eindringliche Sprache aus, durch stilistischen Anspruch und erzählerische Tiefe. Mit starken Bildern, die durch die bedrohliche Naturgewalt der Bergkulisse noch verstärkt werden, und den charakterlich gebrochenen Figuren erzeugt der Autor in seiner sich durch psychologischen Tiefgang auszeichnenden Geschichte eine langsame, aber umso intensivere Spannungssteigerung. Allein im geistig zurückgebliebenen Sepp, wegen seiner unkontrollierten Bewegungen von den Dörflern abschätzig "der Dirigent" genannt und wie Stubber ein Außenseiter der Gesellschaft, hat Stubber von kleinauf einen anhänglichen Freund, "um den er sich gekümmert hatte wie um ein Kind, für den er empfunden hatte wie für einen Sohn".Von Seite zu Seite lernen wir den Menschen Stubber besser kennen. Durch gut eingepasste Rückblenden wächst während des Lesens das Verständnis für sein ungewöhnliches Handeln, für die Tragik im Leben dieses Einzelgängers, so dass Sympathie und Mitgefühl ihm gegenüber zunehmen und man als Leser fast mit ihm leidet. "Kaltblut" ist ein in Handlung, Atmosphäre und Charakteren beeindruckender, fesselnder Debütroman, dem gern weitere Romane gleichen Niveaus folgen dürfen.