Ich habe Holmes & Moriarty von Gareth Rubin gelesen und meine Erwartungen waren nicht gerade niedrig. Die Ausgangslage klingt einfach zu gut, um nicht spannend zu sein: London, 1889. Sherlock Holmes, Dr. Watson und ausgerechnet Erzfeind Professor Moriarty, sind gezwungen zusammenzuarbeiten. Dazu ein junger Schauspieler, dessen Publikum jeden Abend in anderen Verkleidungen auftaucht, und ein Mord, der Moriarty und seinen Gefolgsmann Moran in die Flucht treibt. Klingt nach einer genialen Mischung aus klassischem Holmes-Rätsel, düsterer Atmosphäre und bissigen Dialogen.
Der Start hat mich dann auch richtig abgeholt. Gareth Rubin schreibt bildhaft, hallo Kopfkino, das viktorianische London lebt in den Seiten, Nebel und Gaslaternen inklusive. Besonders Moriarty bekommt mehr Tiefe, als man es aus vielen Adaptionen kennt. Er ist nicht nur der geniale Bösewicht, sondern ein Charakter mit Zweifeln und sogar verletzlichen Momenten. Das hat mir gefallen, weil es ihn menschlicher macht und frischen Wind ins bekannte Setting bringt.
Und genau hier liegt aber auch mein größtes Problem: Während Moriarty so präsent ist, bleibt Holmes erstaunlich blass. In den Originalen von Conan Doyle ist er das Zentrum jeder Szene, doch hier wirkt er eher wie eine Nebenfigur. Das berühmte Funkeln, die geniale Arroganz, die kühle Beobachtungsschärfe? Irgendwie Fehlanzeige. Dadurch fehlt dem erzwungenen Zusammenspiel zwischen Holmes und Moriarty die erwartete Spannung. Das wführt dazu, dass wir eher eine Zweckgemeinschaft bekommen, die zwar solide, aber eben nicht legendär ist.
Das alles liegt auch daran, dass Gareth Rubin, bei allem Respekt, am Ende nicht das literarische Gespür eines Conan Doyle hat. Ist wirklich nicht böse gemeint und keine Schande, schließlich sprechen wir hier von einem der meist adaptierten Krimiautoren aller Zeiten. Aber wenn man sich an Holmes wagt, dann konkurriert man automatisch mit einer extrem hohen Messlatte.
Mein Fazit: Nicht schlecht und lesenswert für alle, die Moriarty mal von einer anderen Seite sehen wollen. Wer aber die Magie eines Doyle-Falls sucht, sollte vielleicht lieber wieder zu den alten Bänden greifen.
6/10