
Eine gefährliche alternative Lehre: Was in Waldorfschulen wirklich auf dem Lehrplan steht.
Lehrermangel, belastete Schulen und Frontalunterricht - beim Blick auf das staatliche Schulsystem scheinen die freien Schulformen eine gute Alternative. Viele Menschen in Deutschland haben ein sehr positives Bild von Waldorfschulen, die wenigsten kennen jedoch die weltanschauliche Basis der anthroposophischen Pädagogik. Die ehemalige Waldorf-Schülerin und Journalistin Bettina Schuler zeigt: Aufgrund ihrer oft antiwissenschaftlichen und autoritären Grundierung birgt die vorgeblich weltoffene Erziehungsmethode der Waldorfschulen Gefahren für die freie Entwicklung der Kinder - und in letzter Konsequenz für die Demokratie. In ihrem klugen Debattenbuch plädiert sie für einen konstruktiv-kritischen Blick auf Waldorfschulen, der das wichtigste Ziel nicht aus den Augen verliert: bessere Bildung für unsere Kinder.
Mit Expert*innenbeiträgen von Düzen Tekkal, Peter Bierl, Ciani-Sophia Hoeder u. v. m.
Besprechung vom 11.10.2025
Durch alle Sphären
Bettina Schuler sucht Rudolf Steiner in den Waldorfschulen und findet seinen Einfluss nicht geheuer.
Von Uwe Ebbinghaus
Von Uwe Ebbinghaus
Es ist erstaunlich, dass nicht schon früher ein kritisches Buch über die Waldorfpädagogik in einem großen Publikumsverlag erschienen ist. Seit Jahrzehnten fordert dieser Schultyp, der nicht eben durch Transparenz hervorsticht, Fragen heraus, die deutlich über folkloristische wie jene hinausgehen, ob hier tatsächlich Namen getanzt werden. Für Eltern, die in Zeiten steigender Beliebtheit von Privatschulen vor der Entscheidung stehen, ob sie ihr Kind an einer Waldorf-Einrichtung anmelden sollen, müssten sich diese Fragen eigentlich stellen: Wie sehr sind diese Schulen von der Anthroposophie Rudolf Steiners geprägt? Welche Weltsicht verbirgt sich hinter dieser Lehre? Werden Kinder und Jugendliche hier von kompetenten Lehrern angemessen auf die Herausforderungen der Zeit vorbereitet?
Doch es ist paradox: Bettina Schuler, die Autorin des Buchs "Der Waldorf-Komplex", liegt wohl nicht ganz falsch mit ihrer Einschätzung, dass die meisten Eltern, vor allem solche, die selbst eine öffentliche Einrichtung besucht haben, sich mit den Ursprungsideen der Steiner-Pädagogik kaum auseinandersetzen. Das mag zum einen an dessen Werken selbst liegen, die sich im Grunde nur lesen lassen, wenn man ihren zum Teil atemraubenden Theoriebildungen grundsätzliche Zustimmung entgegenbringt, was wiederum den Glauben an Reinkarnation und "Wesensglieder" voraussetzt, die in allen kosmischen Sphären durchdekliniert werden können. Zum anderen ist auffällig, dass die Anthroposophie, obwohl sie den Waldorfschulen erklärtermaßen zugrunde liegt, sich im Unterricht zwar in vielen Elementen implizit ausdrückt, dass sie in der Regel aber nicht explizit gelehrt wird. Die meisten Eltern handelten daher, so die Autorin, nach der Devise: "Das bisschen Esoterik wird den Kindern schon nicht schaden." Dafür blieben ihnen die vielen Unannehmlichkeiten der öffentlichen Schulen erspart.
Diese Haltung traf auch auf Bettina Schuler selbst zu, die, wie sie schreibt, bis zu einem Umzug nach der siebten Klasse eine Waldorf-Einrichtung besuchte und auch ihr Kind an einer solchen anmeldete, ohne in Steiners Werke tiefer eingestiegen zu sein. Erst für ihr Buch hat sie die Lektüre nachgeholt und war "entsetzt". Schon der Titel lässt Enthüllendes erwarten: "Der Waldorf-Komplex" - das klingt wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Stefan Aust. Sind Waldorfschulen also nicht nur undurchsichtig, sondern auch bedrohlich? Die Autorin macht keinen Hehl daraus, dass sie diesen Verdacht hegt. Ausgangspunkt waren Erlebnisse während der Corona-Pandemie, in der sie in einer Chatgruppe unerwartet mit Impfgegnerschaft und Querdenkertum konfrontiert wurde.
Das Buch nun enthält viele nützliche Hintergründe zu den Ritualen, Festen und Eigenarten an Waldorfschulen, es beleuchtet die Vor- und Nachteile des Epochenunterrichts und einer achtjährigen Bindung an dieselbe Klassenlehrkraft. Aufgezeigt werden mögliche Probleme bei einem Wechsel an öffentliche Schulen; gerne hätte man mehr über die Ausbildungswege von Waldorflehrern erfahren. Wirklich unbefriedigend aber ist, dass die Autorin zur Untermauerung ihrer gewagtesten Thesen, wie jener von der "Anschlussfähigkeit" der Anthroposophie "an den rechten Rand", sich meist auf Einzelbeobachtungen und Gespräche mit von ihr ausgewählten Experten bezieht, die oft zu dünn sind, als dass man beipflichten könnte.
Doch gibt das Buch auch unterhalb dieser überscharf wirkenden Thesen genug über die Waldorfpraxis zu denken. So wirkt es tatsächlich nicht fair, Schüler über wichtige Grundlagen ihrer Bewertung im Ungewissen zu lassen. Nach welchen spezifischen Kriterien wird ihre Entwicklung gelenkt? Waldorfschulen, die inzwischen vielfach von öffentlichen kopiert werden, sollten die von diesem Buch angestoßenen Diskussionen annehmen und für mehr Klarheit sorgen.
Bettina Schuler: "Der Waldorf- Komplex". Zwischen Mystik und Pädagogik.
Droemer Verlag, München 2025.
224 S., br.,
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