Über das Ende einer Freundschaft. Und über die Geschichten, die wir uns selber erzählen, um durch diese komplizierte Welt zu kommen.
Das Ende einer Freundschaft kann so schmerzen wie das Ende einer Liebe. Vielleicht sogar noch mehr, wenn es eine Freundschaf ist, wie sie die beiden Mädchen Juju und Cassie erlebt haben. Seit dem Kindertagen unzertrennlich verbringen sie in den kommenden Jahren ihren kompletten Alltag miteinander: Ob Einschulung, große Ferien, erste Schwärmereien, Trauer um Verlorenes, sie teilen alles miteinander und fühlen sich, obwohl äußerlich und innerlich so unterschiedlich - Juju ist groß, brünett und nachdenklich; Cassie ist zierlich-klein, weißblond und draufgängerisch-furchtlos -, wie Schwestern. Sie kennen die Gedanken der anderen, noch bevor diese sie für sich selber formuliert und wissen, wie die andere fühlt, auch wenn sie einem Ereignis nicht beiwohnen.Die Freundschaft scheint für die Ewigkeit bestimmt - nur um dann am Wechsel auf die Mittelschule und an der beginnenden Pubertät zu scheitern. Juju feiert akademische Erfolge, Cassie geht auf Partys. Es gibt keinen Streit, keinen lauten Knall, aber eben auch kein klärendes Gespräch. Still und leise geht ein Riss durch ihr Freundschaftsband, das schließlich den Veränderungen nicht mehr standhalten kann und endgültig reißt.Claire Messud hat mitDas brennende Mädcheneinen atmosphärischen und lebensnahen Romanüber eine besondere Mädchenfreundschaft geschrieben, die den Eintritt ins Erwachsenenalter nicht überlebt. Atmosphärisch, da sie besonders im ersten Teil versteht, diesen einen besonderen Sommer der Jugend heraufzubeschwören, den ein jeder doch von uns erlebt hat und an den er noch heute gerne mit wohliger Nostalgie zurückdenkt. Lebensnah, weil sie in ihrem Roman auf Tragik oder einen großen Konflikt verzichtet und stattdessen erzählt, wie Beziehungen scheitern: Menschen verändern sich, entwickeln sich weiter und voneinander weg, lassen die Sprachlosigkeit größer werden, verharren aufgrund eines ungewollten Egoismus in ihrer Sichtweise und schaffen es nicht mehr, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Dies gilt nicht nur für zwölfjährige Mädchen, sondern betrifft auch die Freundschaften, die wir als Erwachsene führen. Messuds Roman istin seiner Beschreibung der Entfremdung zeitlos und generationenübergreifend. Formal und stilistisch überzeugt Messud nicht nur mit ihrer unaufgeregten Sprache, sondern auch mit der Installation vonJuju als Erzählerin.Gerade weil sie es nicht schafft, Cassie zu Rede zu stellen und im Dialog über ihre Freundschaft zu verhandeln, steigert sie sich in den knapp 250 Seiten in einen beinahe manisch wirkendenMonolog hinein. In der versteiften Einsicht verharrt, ihre beste Freundin doch in- und auswendig zu kennen, versucht sie durch das Umwälzen ihrer Gedanken zu ergründen, was schief gelaufen ist, und Puzzleteile zusammenzusetzen, um das Bild vollständig zu erfassen. Doch wählt sie die richtigen Teile? Geht in Cassies Zuhause, das sie als Halbwaise mit ihrer Mutter teilt wirklich etwas vor? Ist der neue Freund der Mutter eine Bedrohung oder greift sie hier nur auf das Motiv des bösen Stiefvaters zurück? Ihre Zweifel und Ängste wecken bei der Lektüre Beklemmungen und erzeugeneine unterschwellige Spannung.Eine eindeutige Antwort - so viel sei gesagt - erfährt man als Leser:in nicht, doch damit ist der Roman nur einmal mehr an der Wirklichkeit: Nicht immer erfahren wir im Leben, was sich wirklich zugetragen hat. Oft genug werden wir mit unserer Fantasie alleine gelassen und erzählen uns deshalb Geschichten, die uns helfen sollen, einen Sinn im Verlust zu finden.MessudsDas brennende Mädchenhat michmit seiner generellen Themenwahl und besonders mit der Art, wie im Roman über das Geschichtenerzählen und das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion verhandelt wurde, überzeugt. Immer wieder musste ich bei der Lektüre innehalten und über das Gelesene nachdenken, was dabei half über denmanchmal langatmigen, im dritten und letzten Teil auch überzogenen Plot hinwegzusehen. Emotional hat mich der Roman, auch wenn ich Jujus Situation wirklich nur allzu gut selber kenne, kaum mitgenommen, dafür mein Hirn aber immer wieder angeregt. Ich vergebe 4 Sterne und werde schauen, ob nicht weitere Bücher von Messud in mein Regal einziehen werden.