Selbst als vollkommen unbedarfter Leser, der sich weder mit Fußball noch mit der DDR-Geschichte sonderlich gut auskennt, wird man von Frank Müllers Abseits und andere Fallen von den ersten Zeilen an abgeholt. Einerseits ist es die Erzählkunst des Autors für ein Fußball-Buch von einem ehemaligen Fußballer erstaunlich elegant, niemals von oben herab, selten wertend und stets unterhaltsam. Andererseits sind es die akribisch gesammelten Geschichten der Protagonisten von damals und die vielen Bilder aus den Archiven, die den Leser in die Zeit und die Thematik eintauchen lassen. Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Funktionäre, deren Namen man nie zuvor gehört hatte, werden auf diese Weise für kurze Zeit zu Vertrauten, die einen Schwank aus ihrer Vergangenheit erzählen. Diese Erinnerungen werden von Autor Frank Müller dabei so schön auf den Punkt gebracht, dass die jeweiligen Episoden selten länger als zwei Seiten sind und keine Langeweile aufkommen kann.
Inhaltlich dreht es sich, vermutlich wegen der biografischen und sportlichen Herkunft des Autors, vornehmlich um die Leipziger Clubs Chemie und Lok, ihre permanente Konkurrenz und nicht ganz lupenreine Eingriffe von oben. Weil Lok Leipzig offenbar ein Lieblingskind der Führung war, mussten andere Vereine, allen voran Chemie, ihre Top-Spieler nicht selten an Lok abgeben. Selbst durften sie aber auch nicht zu gut werden. So geschah es dann schon mal, dass Top-Kicker plötzlich ihre Einberufungsbefehle bekamen Allerhand Schiebereien werden auch in anderen Zusammenhängen geschildert, jedoch ohne mit dem Finger auf die böse DDR zu zeigen.
Dass die DDR-Clubs auch international punkten konnten, und nicht nur im Ostblock, erfährt man ebenfalls aus der Geschichte des 1. FC Lok Leipzig, der 1973/74 beim UEFA-Pokal auftrumpfen und renommierte Teams wie AC Turin, Wolverhampton Wanderers, Fortuna Düsseldorf und Ipswich Town aus dem Turnier kicken konnte und erst durch Tottenham Hotspur im Semifinale gestoppt wurde.
Dass die Politik und die Stasi nie weit waren, ist bei einem DDR-Fußball-Buch keine Überraschung. Amüsante Episoden in der direkten Begegnung weiß der Autor trotzdem zu erzählen. So etwa über Stasi-Chef Erich Mielke, der als großer Fan vom Berliner FC Dynamo fast alle Heimspiele seines Vereins besuchte und gern auch laut kommentierte. So etwa, als ihm etliche Entscheidungen des Schiedsrichters bei einem Spiel der Dynamos gegen den FC Karl-Marx-Stadt mißfielen und er laut von der Tribüne brüllte und der damalige DDR-Auswahltrainer Karoly Sos
lautstark konterte: »Seien Sie ruhig, Sie haben keine Ahnung von Fußball.« Die Menge schwieg betreten, schließlich hätte sich sonst niemand getraut, Mielke so in die Parade zu fahren. Dieser aber antwortete kleinlaut: »Man wird doch wohl in diesem Staat noch seine Meinung sagen dürfen.«
Alles in allem ein kurzweiliges Lesevergnügen, sowohl für Kenner als auch für Laien. Gut geschrieben und reich bebildert! Das vorliegende Buch ist übrigens der Nachfolger des ersten Teils unter dem Titel Die Delegierten. Verdeckte Transfergeschäfte im DDR-Fußball (2022, Verlag Neues Leben).