Eigentlich eine ganz alltägliche Situation. Eine junge Frau sucht eine Mitbewohnerin für ihre WG. Die Bewerberin scheint kompatibel, alles in bester Ordnung.
Noch nie ist mir eine Rezension so schwergefallen. Am liebsten hätte ich einfach geschrieben: Geil! Lest dieses Buch, doch das wird der phänomenalen Charakterentwicklung in diesem Roman in keinster Weise gerecht, in dem keine ist, wer sie anfangs scheint.
In der Eingangssequenz wird Influencerin Anouk in geradezu sphärischer Schönheit und Perfektion geschildert, während die unsichere Lilly das Gegenstück dazu bildet. Und damit beginnt der Tanz um Schein und Sein, denn Lilly heißt in Wahrheit Delia und schlüpft in eine andere Haut, um sich der von ihr so verehrten Influencerin nähern und in deren Glanz sonnen zu können. Bis dahin hätte aus der Story ein spannender Psychothriller werden können, aber Joana June hat anderes mit uns vor, nichts weniger als einen Seelenstriptease. Schicht um Schicht schält sie alle schützenden Hüllen von ihren beiden Protagonistinnen, und mit jeder abgezogenen Zwiebelhaut kommt nicht nur rohes Fleisch zu Tage, sondern kippt das Zünglein an der Freundschaftwaage zwischen den beiden. Verhältnisse kehren sich um und werden ad absurdum geführt.
Was ist inszeniert und was ist wahr?
Und wer ist hier die Bestie oder die Bestie?
Herrlich, dieses intelligente Spiel mit Doppeldeutigkeit und Symbolik. Ich möchte keine Rezension schreiben, sondern eine Lobeshymne, und spreche eine völlig begeisterte Leseempfehlung aus!