Wenn wir in unserer Gesellschaft an Hochbegabung denken, verbinden wir das häufig mit bekannten Genies aus der Wissenschaft, Forschung, Technik oder Kunst, die schräg anmuten und überaus intelligent sind, aber z. B. in sozialen Beziehungen Schwierigkeiten haben (wie z. B. Sheldon Cooper).
Die Medien prägen unser Bild von Hochbegabung und schaffen Stereotype, wodurch wir eher extremere Formen und weniger Zwischentöne wahrnehmen. Dabei kann sich die besagte Eigenschaft sehr vielfältig und individuell auswirken. Nicht jeder ist sich seiner Begabung bewusst und viele werden in Schule, Beruf und Privatleben von ihr ausgebremst, da unser System an zahlreichen Stellen nicht danach ausgerichtet ist.
Hochbegabung betrifft oft den ganzen Menschen und zeigt sich durch eine hohe Intensität z. B. bei geistiger Aktivität, sinnlicher Wahrnehmung, Fühlen, Empfinden und Handeln. Zudem ist das gleichzeitige Auftreten von Hochsensibilität, Autismus-Spektrum-Störung, ADHS, Legasthenie und Synästhesie nicht unwahrscheinlich. Gemeinsam haben alle Hochbegabten einen IQ von 130 Punkten und mehr, womit sie etwa zwei Prozent aller Menschen ausmachen und sich vom Durchschnitt (100 Punkte) und Normal-Bereich (85115 Punkte) unterscheiden.
Das Verhältnis von Frauen und Männern ist in etwa gleich, wobei Letztere häufiger getestet und Erstere eher später erkannt werden.
In diesem Buch berichten 27 Menschen, die alle erst im Erwachsenenalter von ihrer Hochbegabung erfahren haben, jeweils in einem autobiografischen Kapitel aus ihrem Leben. Ihre Lebens- und Bildungswege sind verschieden, aber überschneiden sich häufig. Es zeigt sich, dass viele von ihnen vorher nicht davon ausgegangen sind, hochbegabt zu sein (das Umfeld scheint es teilweise eher zu vermuten), sich lediglich als anders oder nicht zugehörig fühlen, unter Anpassungsdruck leiden und ihre positiven Testergebnisse stark anzweifeln. Immer wieder sind persönliche Krisen ein Ausgangspunkt, sich testen zu lassen. Oder wenn bei Familienmitgliedern eine Hochbegabung festgestellt wird (genetische Disposition). Auch ein häufiger Wechsel zwischen zahlreichen unterschiedlichen Berufsgruppen/Ausbildungen/Studiengängen kann dabei vorkommen. Die Erkenntnis über die eigene Hochbegabung wird oft als Wendepunkt im Leben beschrieben: Endlich haben besagte Menschen eine Erklärung und können sich anders ausrichten.
An Erfahrungsberichten schätze ich sehr, dass man einen Blick in die verschiedensten Lebenswelten von unterschiedlichen Leuten werfen und diese kennenlernen kann.
Die hiesigen machen fast das ganze Buch aus, sonst gibt es noch ein informatives und interessantes Vorwort sowie ein paar Seiten Anhang. Soll heißen: Wer sich für persönliche Erfahrungsberichte interessiert, könnte mit diesem Buch evtl. richtig liegen.
Für mich persönlich hätten deutlich weniger gereicht, da sich doch einiges ähnelt oder wiederholt.
Dafür hätte ich mir ergänzend noch sehr viel mehr Sachinformationen gewünscht, da ich mich bisher sonst nicht mit dem Thema auseinandergesetzt habe.
Dass fast nur Frauen zu Wort kommen, die überwiegend problembehaftet aus ihrem Leben schildern und insgesamt wenig Heterogenität herrscht, sehe ich ebenfalls kritisch.
Zusätzlich wirkte die Lektüre für mich immer wieder zu sehr nach einer Werbemaßnahme für Mensa in Deutschland e. V. (Netzwerk für hochbegabte Menschen, bei dem man auch den kostenpflichtigen Test auf Hochbegabung absolvieren kann), durch die das Buch unterstützt wird. Natürlich ist es wertvoll, dass es Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch gibt, dennoch bleibt da bei all dem Lobgesang ein bitterer Nachgeschmack
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FAZIT: Auch wenn das Buch lesenswerte Aspekte enthält und ich die Thematik interessant finde, wurden meine Erwartungen doch etwas enttäuscht. Mehr Sachinformationen und eine umfangreichere Heterogenität bei der Auswahl der Schreibenden, hätte ich dagegen bevorzugt. Wer das nicht benötigt, könnte vielleicht mehr damit anfangen. 3/5 Sterne!