Vor knapp einem Jahr habe ich den ersten Roman der freien Autorin Rachel Soost gelesen und unter dem Titel Eine unvergessliche Liebesgeschichte rezensiert, schon damals war die Geschichte von Bernie und Luise für mich eine besondere Entdeckung. Schon Monate vor dem langersehnten Veröffentlichungstermin am 27. November 2025 verfolgte ich die Entstehungsgeschichte des zweiten Teils der geplanten Trilogie auf dem Instagram-Account @SchwarzGrauBunt und in persönlichen Mails. Denn seit dem ersten Buch hat sich eine liebevolle Brieffreundschaft entwickelt, die ich sehr schätze. Jetzt die Rezension zur Geschichte von Hilde und Robin zu schreiben, fällt mir gar nicht so leicht. Ich bin auch von diesem Buch wieder begeistert, nun könnte ich viele Absätze der ersten Rezension noch einmal schreiben oder einfach hier hineinkopieren. Das werde ich aber nicht tun, sondern einige neue Gedanken äußern.
Ich habe seit dem 7. Oktober 2023 immer mehr das Gefühl, dass sich gerade jüdische oder jüdischstämmige, sich vollkommen fremde Menschen sehr viel näherkommen, als das vor einigen Jahren noch der Fall war. Ich glaube, es gibt eine innere Verbundenheit, die nun nicht mehr nur durch den Holocaust, sondern auch durch das Hamas-Massaker und die Folgen im täglichen Leben ständig weiterentwickelt und wieder erneuert wird.
In diese Situation hinein ist der Roman geschrieben, er vermittelt aufs Eindringlichste jene oben genannte Verbundenheit, aber auch die Solidarität von nichtjüdischen Personen, die ungeachtet der Gefahren zu helfen bereit waren und auch heute sind.
Robin, er ist das Glückskind der Familie Smedresman, er ist derjenige, der gutes Geld verdient als Vertreter in der Modebranche, und der in der Lage ist, seiner Mutter Chana ein sorgenfreies Leben in einer Genossenschaftswohnung zu ermöglichen. Robin, er ist derjenige, der am längsten zögert, Deutschland zu verlassen, der gern die Augen verschließen möchte vor dem Nationalsozialismus nach der Machtübernahme, der seinen Bruder Bernie und dessen Frau bei der Auswanderung schon 1935 unterstützt, daraus aber nicht die richtigen Schlüsse zieht. Robin lernt Hildegard kennen zu einer Zeit, als der Judenhass noch lange nicht seinen Gipfel erreicht hat. Hildegard, aus gutem, aus protestantischem Hause, wird seine große Liebe. Als die Nürnberger Gesetze normales jüdischen Leben fast vollkommen verhindern, begreift auch er langsam, dass er in Deutschland nicht mehr sicher ist. Und dass sein Traum von der Hochzeit mit Hilde in Deutschland geplatzt ist. Wie viele andere Juden hofft auch Robin immer noch, dass sich alles wieder zum Guten wenden wird. Ein fataler, ja tödlicher Irrtum.
Rachel Soost hat ihren Roman mit einem literarischen Kunstgriff zu einem heutigen Ereignis gemacht. Ihre erfundenen Protagonisten Frederike und Sören sind die Spurensucher in der Gegenwart, ihre Eheprobleme treten in den Hintergrund und beide recherchieren mal allein, mal gemeinsam, nachdem Frederike versteckte Dokumente von Hilde entdeckt hat. Diese Art der Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart hat mir sehr gut gefallen, auch lässt sich dadurch ein wenig die Recherche der Autorin, oft begleitet von ihrem Mann, nachvollziehen. Mein Mann wäre auf jeden Fall auch mit mir nach Belgien oder Frankreich gefahren, um Originalschauplätze zu sehen, dieser Gedanke verbindet mich noch mehr mit der Autorin. Die Besuche von Frederike und Sören auf den beiden jüdischen Friedhöfen erinnerte mich jedenfalls sehr an meine eigenen Erlebnisse, einschließlich der Befreiung eines fast unsichtbaren Grabsteins aus dem Gestrüpp. Vieles bei uns verläuft und verlief ähnlich bei der Familienforschung wie bei der Autorin.
Hilde wird in diesem Roman die eigentliche Hauptfigur, sie ist diejenige mit dem stärksten Willen, sie lässt sich durch nichts und niemanden von ihrer Liebe zu Robin abbringen. Was sie alles durchzustehen hat, das muss jeder selbst lesen. Ich will das Ende nicht schon vorwegnehmen.
Der Roman liest sich gut, die Kapitel sind nicht zu lang und die Klammer der Recherchen von Frederike und Sören hält das Geschehen gut zusammen. Für mich war es trotzdem schwer, den Roman unbefangen zu lesen, ich wusste schon vorher zu viel, dabei hatte ich es aber tatsächlich vermieden, bereits erschienene Rezensionen zu lesen, um zumindest unbeeinflusst für mich selbst sprechen zu können. Das war auch ein Härtetest. Auch den Beitrag der Wohnungsbaugesellschaft im Mitgliederheft Charlotte07 habe ich nur zur Hälfte gelesen, Robins Schicksal, dort noch einmal dokumentiert, habe ich mir aufgehoben. Die Stolpersteinverlegung ist jedenfalls aus meiner Sicht ein Höhepunkt der Recherchearbeit der Autorin. Ich weiß, wie emotional das ist, freue mich gleichzeitig darüber.
Besonders gut gelingen der Autorin im Übrigen Dialoge, diese erscheinen sehr natürlich und bringen dem Leser die Situationen sehr anschaulich nahe. Das offene Ende bahnt nun den Weg zu Bernhards und Robins Bruder Alfred, genannt Freddy, und seiner Frau Helene, die man beide in diesem Roman schon etwas mehr kennenlernt. Ich werde mir auch den dritten Band der Trilogie nicht entgehen lassen, freue mich auf die Fortschritte, die ich vielleicht mitverfolgen kann auf Instagram.
Wie schon beim ersten Teil ist das Cover aus meiner Sicht viel romantischer als der Inhalt, im Roman hatte ich nur einmal das Gefühl, dass eine Situation etwas zu pathetisch geschildert wurde. Ich würde wahrscheinlich im Buchladen nicht auf den Gedanken kommen, zuzugreifen, es sei denn, ich hätte den Untertitel gelesen: Die vergessene Geschichte einer jüdischen Familie. So kann man sich also auch täuschen, wenn man nur oberflächlich hinschaut.
Fazit: wer sich für jüdische Lebensgeschichten und Familiengeschichten im Allgemeinen interessiert, wer die deutsche Geschichte aus einem persönlichen Blickwinkel miterleben will, dem empfehle ich diesen Roman sehr.