Schon nach wenigen Sätzen muss man feststellen, dass dieses Buch anders ist. Wobei es einem auch bereits vor dem Lesen hätte, klar sein müssen, denn immerhin wurde es mit dem folgenden Satz vom Verlag beworben: "Die bewegende Geschichte eines Bauernmädchens erzählt in einer herausragenden Sprache".
Das Buch handelt von Mary, einem knapp 15 Jahre alten Bauernmädchen, das im England des 19ten Jahrhunderts lebt. So weit so gewöhnlich, ungewöhnlich ist es deswegen, weil die Geschichte eigenhändig von Mary geschrieben wurde. Dadurch ist die Sprache eher einfach gehalten, es gibt fast ausschließlich Hauptsätze und auch Satzzeichen sind Mangelware. Direkte Rede kommt zwar sehr häufig vor, wird aber nicht durch die eigentlich vorgeschriebenen Satzzeichen gekennzeichnet. Sehr gewöhnungsbedürftig, aber meiner Meinung nach auch authentisch. Ich habe allerdings auch einiges an Kritik zu diesem gewählten Stilmittel gelesen. So tun sich viele Leser aufgrund der mangelnden Satzzeichen schwer mit dem Lesen, und bemängeln, dass Mary auf der anderen Seite aber auch teils schwierige Wörter fehlerfrei schreiben kann. Ich kann diese Kritiken bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, denke aber, dass wenn die Autorin auch noch absichtlich Rechtschreibfehler eingebaut hätte, dies zwar durchaus der Authentizität gutgetan, das Lesen des Buches aber fast unmöglich gemacht hätte.
Doch die Sprache ist nicht das einzige, das recht einfach gehalten ist. Auch die Geschichte an sich ist eher einfach gestrickt und an manchen Stellen durchaus vorhersehbar. Die eine oder andere kleinere Überraschung hat Autorin Nell Leyshon dann aber doch noch auf Lager.
Trotz oder gerade vielleicht auch wegen ihrer Einfachheit konnte mich die Geschichte so ziemlich von Anfang an fesseln. Die Erzählung ist ehrlich, roh und schnörkellos. Mary nennt die Dinge beim Namen und beschönigt dabei nichts. Sie beschreibt ihren Alltag und ihr sehr karges und entbehrungsreiches Leben mit klaren Worten, ohne zu jammern oder mitleidserregend zu wirken. Es ist eben wie es ist und sie kennt es nicht anders. Auch düstere und nicht so angenehme Dinge beschreibt Mary nüchtern und fast wirkt sie dabei emotionslos. Dies ist aber meiner Meinung nach auf die Tatsache zurückzuführen, dass Mary in ihrem Leben keinen Platz für Gefühle hat und es nicht gelernt hat, dieses auszudrücken.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass die Erzählung die Leserin oder den Leser kalt lässt. Mich persönlich hat das Buch sehr berührt und bewegt. Vor allem wenn man sich vor Augen hält, dass es noch immer Gegenden auf der Welt gibt in dem die von Mary beschriebenen Dinge noch heute passieren. In denen Frauen und Kinder noch immer einfach nur Ware und billige Arbeitskräfte sind.
Trotz kleinerer Schwächen hat mich diese Erzählung in seinen Bann gezogen und ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Auch wenn ich es ab einem gewissen Punkt am liebsten getan hätte. Marys Geschichte hat mich auf vielen Ebenen berührt und zum Nachdenken gebracht und für mich ist dieses Kleinod eine klare Leseempfehlung.