Leicht zu lesen, in vielerlei Hinsicht unfokussiert, damit manchmal leicht nervtötend, aber ein gelungener Anreißer von Gedankenspielen.
Ein unscheinbares und schlichtes Männergemüt blüht durch das Rechtsstudium auf erstaunliche Weise. Das kennen wir vom Prinzip her schon von Juli Zehs "Adler und Engel" und es wiederholt sich kurioserweise bei Simon Urbans "Wie alles begann und wer dabei umkam" - eben jenem Autor, der gemeinsam mit Zeh den WhatsApp-Roman "Zwischen Welten" geschrieben hat. Aber dies nur als Nebenschauplatz. Wobei: Nebenschauplätze sind bei Simon Urban an der Tagesordnung. Es gibt viele davon. Vielleicht zu viele. "Wie auch immer" ist eine seiner gängigen Formulierungen, um von einem der vielen Nebengleise aufs Hauptgleis zurückzufahren.Wie auch immer, Urbans eigener Roman wird in seiner ausladenden Detailverliebtheit ganz schön juristisch. Abgefedert durch einen schnoddrigen und zugleich prahlerischen Erzählton - wobei auch dieser manchmal zu viel wird - folgen wir dem Protagonisten beginnend bei seiner bescheidenen Kindheit und Jugend in einer belasteten Familiensituation auf die Universität und dann in die Welt hinaus, um ein global geltendes Strafgesetz auszuarbeiten. Wahre Gerechtigkeit lautet das Programm - aber ohne verweichlichte Konstrukte wie etwa das Doppelbestrafungsverbot "ne bis in idem". Recht rotzig geht es hier zu. Der Blick des Ich-Erzählers ist dabei der klassisch männliche: Was ihm an Frauen zuerst auffällt, sind grundsätzlich Enge und Kürze ihrer Kleidung, der Grad des Anreizes ihrer Frisuren sowie Form, Größe und Straffheit von Brüsten und/oder Hintern sowie die Länge der Beine. Seine Ansichten von der Welt sind gleichermaßen mittelalterlich. Ein sympathisch-unsympathisches Kerlchen halt, den wir auf seinem Weg zurück zu den Methoden der Vergangenheit begleiten. So kehrt der Roman, ausufernd wie sein langer Titel, immer wieder zu rechtsphilosophischen und juristischen Gedankenspielen und -spielereien zurück. Die darin gesponnenen Ideen sind kreativ und der Autor lässt zuerst frei, sich auf einer Seite der radikalen Positionen wiederzufinden oder von ihnen abgestoßen zu sein.Es ist ein kalkuliertes Spiel der (Selbst-)Entlarvung, welches der Autor hier treibt: Identifizieren sich die Falschen, dann soll der Held selbstverständlich kein solcher sein - nur wer klug genug ist, erkennt die differenziert-kritische Haltung gegenüber Ansichten und Handeln dieses Anti-Helden. Kritische Distanz blitzt schon auf, wenn auch auf weiten Strecken sparsam dosiert - was tatsächlich Sache ist, lässt der Autor erst in einer Abrechnung in Form zweier Briefe zum Abschluss durchblicken. Vielleicht etwas spät nach 500 ausschweifenden Seiten.Doch geht es in dem Buch um mehr als das Recht, es geht um schillernde Gestalten und deren Lebensgeschichten, glaubwürdige und unglaubwürdige Abenteuer in aller Welt und immer wieder und überall um Sex - das ungestillte Verlangen danach genauso wie das Erreichen des Ersehnten. Der Autor wirft einem vieles entgegen, mit welchem bei der eigentlichen Prämisse, das Recht der Welt neu zu ordnen, nicht zu rechnen wäre. Der flapsige Ton wirkt daher oft deplatziert, gleichzeitig erleichtert es, über die Stellen hinwegzuspringen, wo Zweifel aufkommen, nicht doch im falschen Buch gelandet zu sein.Alles in allem hat "Wie alles begann und wer dabei umkam" einen schelmisch-bösen Charme, geht glaubhaft mit komplexen Rechtskonzepten um und bietet hier auch den einen oder anderen informativen wie schrägen Exkurs. Gleichzeitig balancieren Handlung und Hauptfigur auf der scharfen Schneide zwischen Sympathie und Antipathie und begeht der Autor in seinem weitschweifigen Stil das Verbrechen, oft lieber drei Worte zu wählen, anstatt das passende. Wenn dann sogar noch im Endspurt des Romans eine Episode aus der Geschichte der Giftmorde eingeschoben wird, auch wenn diese keine weitere Relevanz für die Handlung hat, beweist sich wieder: Weniger ist mehr."Wie alles begann und wer dabei umkam": Leicht zu lesen, in vielerlei Hinsicht unfokussiert, damit manchmal auch leicht nervtötend, aber ein gelungener Anreißer von rechtsphilosophischen Gedankenspielen und Diskussionen. Jedenfalls polarisierend und oberflächlich oft plump anmutend, aber - im Zweifel für den Angeklagten gesprochen - mit doppeltem Boden.