Ein lebenslustige Buch im Angesicht des Todes
Eine Zeit, die man am liebsten vergessen möchte, ist die Lockdown Zeit während der Corona Pandemie. Wie schnell haben wir vergessen, dass wir uns (fast) freiwillig einsperren mussten. Eine Altersgruppe, die ist am schlimmsten getroffen hat, waren Menschen in Senioren- und Pflegeheimen. Die Einsamkeit, mit der sie sich plötzlich konfrontiert sahen, wird in diesem Buch noch mal sehr deutlich.Adriana Altaras hat eine spannende Migrationsheschichte. Ihre Mutter, eine brennende Sozialistin, die Tito verehrte, sah sich irgendwann zur Immigration nach Deutschland gezwungen. Ein Umweg führt die Familie über Italien, wo Adrianas Tante sie aufnahm und mehrere Jahre betreute, bevor das Kind zu den Eltern nach Deutschland zog. Die beiden sind sich eng verbunden, sie ist wie eine zweite Mutter für die kleine Adriana.Teta Jela, wie sie genannt wird, steht 2020 vor ihren 100. Geburtstag und die große Party wird es wohl nicht geben, genauso wie auch Adriana auf die Feier zu ihrem 60. Geburtstag verzichten muss.Adriana hat immer noch einen engen Kontakt zu ihrer Tante. Sie telefonieren häufig und sie besucht sie regelmäßig. Letzteres ist nun nicht mehr möglich. Teta Jela ist selbst auch eine Migrantin, die als Jüdin den kroatischen Faschisten während des dritten Reichs entfloh. Sie will weder mit den Deutschen noch mit den Kroaten etwas zu tun haben, die sie zurecht für ihr großes Leid in der Vergangenheit verantwortlich macht.In zwei Erzählstimmen setzt sich die Geschichte beider Protagonistinnen zusammen. Im Zentrum steht allerdings die Hundertjährige, die uns an ihren Erinnerungen und der Einschätzung ihrer einsamen Gegenwart teilhaben lässt. In einem Alter, wo der Tod täglich an die Tür klopft, nimmt auch der Gedanke an ihn einen großen Raum ein.Altaras hat stilistisch eine große Leistung vollbracht, in dem sie beiden Stimmen einen sehr unterschiedlichen Erzählton verlieh. Während Adrianas Perspektive mit sehr viel Humor gespickt ist - die vielen Telefonate mit ihrer Tante sind einfach nur toll geschrieben - ist die Ebene in der Teta Jela erzählt viel ruhiger und oft melancholisch bis traurig. Hier spricht nicht nur eine weise Frau, die viele Krisen kommen und gehen gesehen hat, sondern ein lebenslustiger Mensch, der noch teilhaben möchte und Pläne schmiedet. Die Tatsache, dass es zur Umsetzung dieser nie wieder kommen wird, scheint sie kaum zu akzeptieren. Ich hatte oft den Gedanken, dass ich genauso wäre. Beeindruckend fand ich den inneren Monolog über das Sterben, in Situationen, wenn sie sich Kurz davor wähnte.Dieses Buch ist wirklich abwechslungsreich und deckt viele Themen ab, ohne überladen zu wirken. Es ist historisch, politisch, humorvoll und durch und durch menschlich. Eine große Leseempfehlung für alle, die sich mit schwierigen Zeiten beschäftigen möchten und zwei Menschen kennen lernen wollen die ihre Emotionen offen zur Schau tragen und das Leben lieben.