Der Roman James ist eine Neuinterpretation von Mark Twains "Die Abenteuer des Huckleberry Finn", in dem Percival Everett dem Sklaven Jim eine große Bühne bietet und seine Version der Geschichte erzählt. Ein Sklavenleben besteht zum großen Teil aus Warte - Warten, Warten und nochmal Warten. Warten auf Anweisungen. Warten auf Essen. Warten aufs Tagesende. Warten auf den gerechten und verdienten christlichen Lohn am Ende von allem.Meine persönlichen Leseeindrücke Es ist nicht mein erstes Buch von Percival Everett. Nach "Die Bäume" wollte ich von diesem Autor eigentlich nichts mehr lesen, aber nachdem "James" mit dem Pulitzer Prize 2025 ausgezeichnet wurde, konnte ich nicht anders und griff zum Buch.Nun denn, ein amerikanischer Klassiker wurde neu interpretiert und die Welt steht Kopf. Ich muss gestehen, ich habe Mark Twains "Huckleberry Finn" nicht gelesen, was ich jetzt gerne nachholen werde, denn James hat meine Neugierde auf das Original geweckt.Wenn ich die Worte sehen konnte, dann konnte niemand sie oder das, was sie mir gaben, kontrollieren. Man könnte nicht einmal wissen, ob ich sie lediglich sah oder ob ich sie las, sie auslotete oder begriff. Es war eine vollkommen private Angelegenheit, vollkommen frei und daher vollkommen subversiv.Jim ist ein außergewöhnlicher Sklave. Als Sohn einer schwarzen Mutter und eines weißen Mannes wurde er sofort weggegeben und wuchs in Unfreiheit auf. Er kann lesen und schreiben, spricht neben der "Sklavensprache" auch ein korrektes Englisch und entschließt sich als erwachsener Mann zur Flucht, weil er aus der Hölle des Sklavenlebens entkommen will. Sein Plan ist es, einen der nördlich gelegenen amerikanischen Staaten zu erreichen, um ein freier Mann zu werden. Dann erst kann er zurückkommen, um seine Frau und Tochter freizukaufen, denn beide musste er für seinen Fluchtplan zurücklassen.Erzählt wird die Flucht, und was Jim während dieser erlebt. Einen Teil des Weges bestreitet er mit Jungen Huck, der vor seinem gewalttätigen Vater flüchtet. Es ist eine besondere Freundschaft zwischen einem Kind und einem erwachsenen Sklaven, die sich später dann erstaunlich aufklärt, und ich habe den Eindruck, dass Everett durch seine Romanfigur Huck nicht alle Weißen pauschal verurteilen will, sondern in der Reinheit des Kindes einen Funken Hoffnung für Menschlichkeit sieht. Denn die Weißen sind böse, unmenschlich, brutal, aggressiv, dumm, herzlos, leichtgläubig, fanatisch und schlimmer als Tiere. Sie haben Angst vor ihren Leibeigenen, die durchaus berechtigt ist, und herrschen über ihre Sklaven mit eiserner Hand und kaltem Herz. Obwohl sie fleißig die Kirchenbank drücken und sich auf ihren Gott berufen, manifestieren sie ihre Obrigkeit mit rauer Gewalt, Schändung und Mord. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Unterdrückten davon befreien und rächen.So macht es auch Jim während seiner langen Flucht, denn erst gegen Ende des Buches, und das verwundert mich ein wenig, begeht er manche Rache, die für mich längst fällig gewesen wäre. "James" konnte mich begeistern, auch wenn die eine oder andere Frage unbeantwortet blieb. Doch ist es im Gesamtbild nicht notwendig, auf Details herumzureiten, die schlussendlich die Aussagekraft des Buches nicht beeinflussen.Zum Schluss eine Anmerkung zur Übersetzung. Ohne die großartigen Leistungen der Übersetzer würde ich wenig von der Weltliteratur mitbekommen. Mein Englisch reicht nicht zum Lesen von Literatur und außer Italienisch, das ich doch recht gut beherrsche, kann ich keine andere Fremdsprache auf Leseniveau und bin auf die Sensibilität, die Professionalität, das Können und die Fähigkeit der Übersetzer angewiesen, die im besten Falle die Seele des Buches in die deutsche Sprache zu übertragen verstehen. "Das Ziel sei die Perfektion" hört man oft, auch von den speziellen Anforderungen des Berufs. Wie in vielen anderen Fällen ist dies Nikolaus Stingl mit "James" wahrlich meisterhaft geglückt! Es ist Zeit, dass der Name des Übersetzers mit auf dem Buchcover erscheint. Verlage sollten dem endlich nachkommen.FazitMit "James" gelingt Percival Everett eine wahrlich meisterhafte Neuinterpretation des amerikanischen Klassiker "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" von Mark Twain, in dem er die Geschichte aus der Perspektive des Sklaven Jim erzählt. "Wenn du irngn Gott brauchs, damit du Recht von Unrecht unnnerscheidn kanns, dann wirst du's nie lern."