fulminante feministische Gesellschaftskritik, spannend erzählt wie aus Tausendundeiner Nacht, leider immer noch aktuell
Torborg Nedreaas' Roman "Nichts wächst im Mondschein" ist alles andere als eine Wohlfühlgeschichte - und vielleicht gerade deshalb ein Werk, das mich estrem beeindruckt und erschüttert hat. Die Ausgangssituation klingt zunächst unscheinbar: Eine junge Frau folgt einem Fremden nach Hause, der sie am Bahnhof angesprochen hat, und beginnt, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Doch schon nach wenigen Seiten entfaltet sich ein Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ich war einerseits abgestoßen und betroffen von dem überaus harten Schicksal der Protagonistin, andererseits konnte ich das Buch kaum zur Seite legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht.Dass Nedreaas den Roman vor fast achtzig Jahren schrieb, ist kaum zu glauben. "Nichts wächst im Mondschein" wirkt in seiner gesellschaftlichen Analyse, seiner Emotionalität und seiner stillen Wut auf erschreckende Weise gegenwärtig. Die Themen, die Nedreaas aufgreift - Ausbeutung der Arbeiterklasse, fehlende Bildungschancen für Menschen in prekären Verhältnissen, eine moralisch rigide und heuchlerische Gesellschaft - könnten ebenso gut aus einem heutigen Sozialreport stammen. Besonders eindrucksvoll ist die schonungslose Darstellung der Situation lediger Mütter, die durch moralische Verurteilung, institutionelle Kälte und kirchliche Bigotterie in existenzielle Nöte gedrängt werden. Nedreaas zeigt unmissverständlich, wie Frauen dadurch zu gefährlichen, oft lebensbedrohlichen Abtreibungen getrieben werden, weil ihnen medizinische Unterstützung verweigert und moralisch abgesprochen wird.Die neue Übersetzung ins Deutsche - 78 Jahre nach der Erstveröffentlichung - wirkt wie ein längst überfälliges Fenster, das dieses eindringliche Werk nun auch hierzulande erneut ins Licht rückt. Und das völlig zu Recht: Nedreaas hat zweifellos einen Klassiker geschrieben, der durch seine Empathie und gesellschaftliche Scharfsicht gleichermaßen besticht.Torborg Nedreaas, 1906 in Bergen geboren, war eine norwegische Autorin, die sich ihr Leben lang gesellschaftspolitischen Themen widmete. Sie arbeitete zunächst als Musikerin, bevor sie in den 1940er-Jahren zum Schreiben fand. Ihre Romane und Erzählungen sind geprägt von einer tiefen Aufmerksamkeit für soziale Ungerechtigkeiten und einem unerschrockenen Blick auf das Leben derjenigen, die häufig übersehen werden. Als engagierte Sozialistin und Zeitzeugin des Zweiten Weltkriegs scheute sie sich nicht, die Missstände ihrer Zeit beim Namen zu nennen - ein Mut, der sich im vorliegenden Roman auf jeder Seite zeigt.Für mich ist dieser Roman eine eindringliche, bewegende und formal brillant erzählte Erinnerung daran, dass sich gesellschaftliche Missstände nur dann verändern, wenn sie sichtbar gemacht werden. Nedreaas hat das getan - und wie.