Nach dem ehrenwerten Mann, Anwalt, Bewohner des "Inner Temple", dem Rechtsbezirk in London mit nicht wenigen Privilegien, kann man jederzeit nicht nur die Uhr stellen, sondern weiß, dass Gabriel Ward, Kronanwalt, ein Mann fester Prinzipien und Angewohnheiten ist. Vor allem aber einer, der völlig in seinem Beruf, seinen Fällen, seinem Habitus, seinem Lebensrhythmus aufgeht und der sich genau am richtigen Ort wähnt. Bis er, wie immer seine Wohnung um 6.58 Uhr verlassend, auf dem Weg in sein Büro irritierenderweise eine Leiche im Eingang liegen sieht. Unangenehm berührt vor allem von der laut und hysterisch schreienden Raumpflegerin und durchaus indigniert davon, dass er von seinem geliebten Schreibtisch ferngehalten wird, bemüht Ward sämtliche Erinnerungen seiner Kinder- und Lebenszeit, um die Situation in den Griff zu bekommen. "Nun kommen Sie....das schickt sich nicht" ist zwar eine Wiederholung seines damaligen Kindermädchens, scheint aber Wirkung zu zeigen. Wirkung zeigt allerdings nicht sein inneres Widerstreben und sein äußerer Widerspruch, als Sir William ihn mit der Aufklärung dieser inakzeptablen Ruhestörung durch einen Mord beauftragt. Niemand ist weniger geeignet. Meint Gabriel Ward. Wobei, im Blick auf seine Kollegen, stimmt das nicht ganz. Wer so in seinem eigenen Biotop lebt, dass jede Form moderner Rechtsmedizin und sogar die populären Romane um Sherlock Holmes nicht wahrgenommen werden (""Wer ist Sherlock Holmes?", frage Sir William, der nie etwas anderes als Prozessberichte las".), der wird erst recht angesichts des Ermordeten mit der merkwürdigen "Störung der Kleiderordnung" nurmehr sich unwillig abwenden können. So kommt es, wie es kommen muss, dass der unwahrscheinlichste aller Ermittler überfordert und doch äußerst präzise seine Wege geht, um Licht in das Dunkle des Falles zu bringen. Ein Fall, der in diesem überschaubaren Rahmen dieses "Rechts-Vatikans" in London spielt und hauptsächlich mit überschaubarem Personal (wunderbar pointiert bis leicht überzogen, weltfremde, snobistische und dennoch jeder auf seine Weise brillante Anwälte und Richter des "Inner- und Middle- Temple"). Nicht nur der Ort, auch die strikten Traditionen und die einzelnen Protagonisten, die Überschaubarkeit des Rahmens in Spannung mit der wenig überschaubaren Frage, wer den Mord begangen haben könnte, geben diesem Kriminalroman seinen ganz besonderen Reiz. Zu dem das flüssige Erzähltempo und die bildreiche Sprache der Autorin bestens passen. Gestandene und traditionsbewusste Protagonisten, von denen, Gott behüte, dass das je offen ausgesprochen werden würde, in diesem Mord weniger ein Erschrecken folgen lassen, viel mehr aber umgehend die persönlichen Aufstiegschancen vor den inneren Augen erblühen lassen. Denn der Tote macht einen gewichtigen Platz im Temple frei. Eine sehr zu empfehlende Lektüre.