Schönes Buch
Es gibt Bücher, die einen still begleiten. Leise, unaufgeregt, aber tief. "Treppe aus Papier" von Henrik Szántó gehört für mich genau in diese Kategorie. Der Roman hat mich auf eine ganz eigene Weise berührt, vielleicht gerade, weil er nicht laut ist, sondern nachhallt. Und weil er eine Frage stellt, die mich nicht mehr loslässt: Was würde ein Gebäude erzählen, wenn es könnte?Die Entscheidung, das Haus selbst als Erzähler auftreten zu lassen, fand ich zunächst ungewohnt. Der Einstieg war für mich eher vorsichtig. Ich musste mich an diese raumbezogene, fast zeitlose Perspektive erst gewöhnen. Aber je weiter ich las, desto mehr ergab alles Sinn. Die Geschichte ist nicht linear. Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich, verschränken sich an bestimmten Orten, wie in einem Echo, das durch die Wände klingt.Besonders beeindruckt hat mich die Figur der Irma, als Kind im Nationalsozialismus groß geworden, mit all den Zwängen, den Schuldgefühlen, dem Schweigen. Und dann die Begegnung mit der 15-jährigen Nele, die heute mit ihren Eltern in der Wohnung lebt, die einst Ruth Sternheim gehörte, Irmas jüdischer Freundin. Diese generationsübergreifende Verbindung, dieses vorsichtige Annähern der beiden, das ist so feinfühlig erzählt, dass ich mehr als einmal schlucken musste.Nele ist eine Figur, die ich sofort mochte. Klug, aufmerksam, unbequem, im besten Sinne. Ihre Fragen sind nicht naiv, sondern mutig. Und sie stellt sie dort, wo viele lieber schweigen würden, nämlich in der eigenen Familie. Die Ablehnung, die ihr da entgegenschlägt, hat mich wütend gemacht und gleichzeitig daran erinnert, wie schwer es manchmal noch heute ist, über die eigene Geschichte zu sprechen. Oder über das, was verschwiegen wurde.Sprachlich ist das Buch etwas Besonderes. Kein übertriebener Pathos, kein pädagogischer Zeigefinger, stattdessen eine poetische, fast träumerische Sprache, die dennoch klar bleibt. Ich habe viele Stellen zweimal gelesen, weil sie in wenigen Sätzen so viel sagen. Es sind oft die kleinen Beobachtungen, die einen treffen. Eine Bewegung, ein Blick, ein Satz zwischen den Zeilen."Treppe aus Papier" ist ein Buch über Erinnerung, über Verantwortung und über die Macht der Orte. Es zeigt, dass Geschichte nicht abgeschlossen ist, sondern weiterlebt, sich einschreibt in Wände, Böden, Menschen. Für mich war es nicht nur eine Lektüre, sondern eine Erfahrung. Und eine Einladung, eigene Fragen zu stellen an das, was war. Und an das, was daraus geworden ist.