Schweizerin entwickelt sich zu einer unabhängigen Frau in der neuen Welt. Lebensgeschichte im Wandel des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Mit fünf Jahren sticht Susanna dem Wilden Mann mit ihrem Finger ein Auge aus. Von der ersten Seite dieses Romans an wird deutlich, dass wir es mit einer ausgewöhnlichen Protagonistin zu tun haben. Capus erzählt die Lebensgeschichte von Susanna Faesch, die in (Klein-)Basel in der Schweiz ihre ersten Lebensjahre verbrachte. Für die Beschreibung dieser sehr sittenstrengen, monotonen und geradezu sterbenslangweiligen Gemeinschaft läßt sich Capus recht viel Zeit; hier lernen wir auch Maria, Susannas Mutter genau kennen, die schließlich ihre Koffer packt und mit der einzigen Tochter nach New York auswandert. Hier wird aus Susanna sehr früh eine beliebte Porträtmalerin, die sich besonders auch für Native Americans interessiert. Schließlich reist sie mit Mitte Vierzig nach Dakota, lernte Sitting Bull kennen und fertigt mehrere Porträts von ihm an. Soweit das historische Grippe, aus dem Capus einen Roman mit sehr vielen interessanten Details gemacht hat.Er stellt die "alte" und die "neue" Welt gegenüber, flicht verschiedene Konflikte innerhalb Europas ein, beschreibt den Einzug der Moderne durch die Eisenbahn, die Glühbirne, die Elektrifizierung, die Einwandererareale in Brooklyn, die Geistertänze und schließlich die Kämpfe mit und die Massaker an den Native Americans.Capus wählt einen distanzierten Ton für seinen Roman, der sich dadurch verstärkt, dass der Erzähler häufig aus der Geschichte hervortritt und kommentiert. Es steck unheimlich viel drin in diesem Text. Wie bei einem Kaleidoskop, das bei jeder kleinen Drehung ein neues Muster zeigt, finden wir ständig neue, interessante Elemente, die man weiterverfolgen möchte, doch schon kommt das nächste Muster.Gewünscht hätte ich mir, dass die Begegnung mit Sitting Bull etwas mehr Raum bekommen hätte, schließlich wirbt der Klappentext genau damit. Als Susanna sich auf den Weg nach Dakota macht, hat das Buch aber plötzlich nur noch 50 Seiten, da war ich etwas enttäuscht. Am Ende, wenn man die Geschichte nochmal rekapituliert, passt es aber doch, denn Susanna steht im Mittelpunkt dieser Entwicklungsgeschichte. Sehr gut gefallen hat mir, wie sich der Kreis am Ende schließt und Bezug auf den Beginn des Romans nimmt, mit einem "Wilden Mann" und mit einem Tanz. Einem, der nur "wild" ist innerhalb der erlaubten, strengen Tradition und einem anderen Tanz, der einer Befreiung gleichkommt und zu einer Tragödie führt.